Wahlchaos in Kenia
Mindestens sechs Tote bei Ausschreitungen
Gewonnen hat niemand bei der Präsidentschaftswahl am vergangenen Donnerstag in Kenia. Im Gegenteil: Boykottiert von der Opposition unter Raila Odinga, gezeichnet von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten mit mindestens sechs Toten und vielen Verletzten, Plünderungen von Geschäften und einer für Kenias Demokratie beispiellos geringen Wahlbeteiligung, manövriert sich das Land weiter durch gefährliches Fahrwasser.
Nach einer erfolgreichen Petition gegen das Präsidentschaftswahlergebnis vom 8. August, in dem Präsidentschaftskandidat und Herausforderer Raila Odinga der Wahlkommission Unregelmäßigkeiten vorgeworfen hatte, annullierte das Oberste Gericht Kenias die Wiederwahl von Amtsinhaber Uhuru Kenyatta. Die kenianischen Wähler wurden daraufhin am 26. Oktober zu einer Neuwahl des Präsidenten aufgefordert. Da keine Reform der Wahlkommission stattgefunden habe, trat Odinga von der Wahl zurück und forderte seine Anhänger auf, »an der Scheinwahl nicht teilzunehmen«. In derselben Rede am Tag vor der Wahl versprach er zudem, »alle progressiven Kräfte des Landes« zu mobilisieren, um sicherzustellen, dass »neue, freie und faire Präsidentschaftswahlen innerhalb der nächsten 90 Tage organisiert werden«.
Nach Angaben der Wahlkommission gaben bei der Wahlwiederholung am Donnerstag weniger als 34 Prozent der Wähler ihre Stimme ab, während die Wahlbeteiligung in Kenia unter demokratischen Verhältnissen regelmäßig um die 80 Prozent lag. In vier Bezirken im Westen des Landes, der als Oppositionshochburg gilt, wurde die Wahl »aus Sicherheitsgründen« auf unbestimmte Zeit verschoben. Viele Menschen folgten dem Boykott, andere wurden von Oppositionsanhängern teils gewaltsam am Zutritt zu den Wahllokalen gehindert. Viele Wähler sahen schlicht keinen Sinn in einer Stimmabgabe in einem von vorherein unglaubwürdigen Verfahren. Ein Kommentator nannte es »die wahrscheinlich beschämendste Veranstaltung, die seit der Unabhängigkeit je auf Kosten des Steuerzahlers stattgefunden hat.«
Zwei machthungrige Politiker haben sich ineinander verbissen. Kenyatta, der 98 Prozent der Stimmen erhielt, will so bald wie möglich zum Sieger der Wahl erklärt werden, ob sie fehlerhaft war oder nicht. Damit macht er die Hälfte Kenias, die mit seinem Regime unzufrieden ist, noch wütender und polarisierter entlang ethnischer Grenzen. So lässt sich schwerlich ein erschüttertes Land regieren, ganz zu schweigen davon, die Menschen miteinander zu versöhnen. Die politische Krise des Landes, also das Ausgrenzen bestimmter Ethnien, eine Arroganz der Macht, übermäßige Polizeigewalt, wird sich so vertiefen und verlängern. Für Raila Odinga sind die jungen Männer, die in Nairobis Slums und im Westen Kenias in seinem Namen sterben, nur wenig mehr als politisches Kalkül, wenn er sich nicht konsequent gegen Gewalt ausspricht und seine Ankündigung einer »Widerstandsbewegung« vage bleibt.
Um Kenia aus der Krise zu schiffen, müssen die beiden Männer, aber auch ihre jeweiligen Lager miteinander reden. Wahlen und Petitionen heilen keine Wunden.
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