Canberra macht eifersüchtig
Buchverlag hält Australiens Hauptstadt für besuchenswert - Sydney und Melbourne sind darüber nicht erfreut
Canberra ist eine künstliche Hauptstadt. So fing alles vor über 100 Jahren an. Denn als die Australier sich nicht einigen konnten, ob Sydney oder Melbourne die bessere Hauptstadt sei, beschloss das Parlament 1911 kurzerhand, eine neue Stadt zwischen den beiden Zankäpfeln zu bauen. Canberra - von US-Architekt Walter Burley Griffin als Gartenstadt geplant - war geboren und der Streit offiziell ad acta gelegt.
Diese Woche loderte der Streit jedoch wieder auf und zwar aus dem eigentlich erfreulichen Grund, dass Canberra auf der Liste der Städte auftauchte, die der renommierte Reiseverlag Lonely Planet für besuchenswert hält. Noch vor Canberra nannte der Verlag Sevilla (Spanien) und Detroit (USA). Auf Platz vier bis sechs landeten Hamburg, Kaohsiung in Taiwan und Antwerpen in Belgien.
Wer sich von »eifersüchtigen« Australiern in Melbourne und Sydney den Besuch in Canberra nicht verderben lassen will: Die australische Hauptstadt ist tatsächlich vor allem wegen ihrer vielen Museen und Ausstellungen einen Besuch wert. Hier befinden sich Nationalmuseum, Nationalgalerie, die Porträtgalerie, die Staatsbibliothek, das War Memorial (ein Kriegerdenkmal) und das Staatsarchiv des Landes.
Auch das Wissenschaftsmuseum Questacon ist eine tolle Museumserfahrung - interaktiv und mit Erlebnissen vollgepackt. Selbst das Parlament, das Zentrum der Stadt, das direkt in einen Hügel hineingebaut und ein Beispiel gelungener moderner Architektur ist, gleicht einem Museum. Mehr als 5000 Kunstwerke werden darin ausgestellt und geben einen hervorragenden Querschnitt über Australiens Kunstgeschichte. Barbara Barkhausen
Es sei geradezu »kriminell« wie sehr Canberra, das ja doch eine ganze Menge für so eine kleine Stadt zu bieten habe, bisher übersehen wurde, hieß es in der Lonely Planet-Erklärung. »Nationalheiligtümer findet man hier fast an jeder Ecke und aufregende, neue kleine Bezirke sind aufgetaucht, die vor gastronomischen Höhepunkten und kulturellen Pflichtprogrammen geradezu bersten.«
Eigentlich sollten sich die Australier darüber freuen, doch vor allem Bürger aus Melbourne und Sydney scheinen die Schmach noch immer nicht überwunden zu haben, bei der Hauptstadtwahl leer ausgegangen zu sein. Obwohl Canberra in sozialen Medien auch ein paar Fans fand, welche die vielen Museen und Galerien der Stadt lobten, griffen die meisten die wieder aufkeimende Debatte zwischen den australischen Städten mit Freude auf und schlugen dabei mit oft harschen Worten auf Canberra ein.
»Ich stimme mit dem Lonely Planet überein«, schrieb ein Social Media-Nutzer beispielsweise. »Canberra ist ein unglaublicher Ort für einen Besuch. Nirgendwo sonst hat man soviel Freude, wieder abzureisen wie in Canberra.« Ein weiterer Australier ging noch strenger mit seiner Hauptstadt ins Gericht: »Sind wir sicher, dass der Lonely Planet Canberra nicht als eine der drei Top-Städte genannt hat, die man 2018 vermeiden sollte?«
Auch die meist in Sydney oder Melbourne angesiedelten Medien konnten sich mit Spott und Häme nicht ganz zurückhalten, als die Nachricht von Canberras Platz auf dem Siegertreppchen bekannt wurde. »Nein, das ist kein Tippfehler«, fühlte sich der »Sydney Morning Herald« genötigt zu betonen, während die Webseite Pedestrian TV titelte »Canberra (ja, Canberra) wurde zu einer der Top-Städte weltweit ernannt, die man besuchen muss«. Selbst der staatliche Sender SBS konnte sich eine satirische Bemerkung nicht verkneifen und schrieb süffisant, die Stadt bestehe ja durchaus aus noch mehr als nur Kreisverkehren und Politikern. Doch nicht einmal die scheinen Canberra besonders zu mögen. »Canberra war im Prinzip ein großer Fehler«, sagte Ex-Premier Paul Keating 2009 in einem Interview. »Die Hauptstadt hätte nie dort sein sollen, es hätte Melbourne oder Sydney sein sollen.«
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