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  • Autonome Region Kurdistan

Ungewisse Zukunft für Kurdenregion

Präsident Barzani hat sich verkalkuliert und trat zurück / Mehr Macht für den Neffen?

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ruhig, das Leben geht seinen gewohnten Gang, doch in der Luft liegt eine gewisse Spannung. Vor dem Parlamentsgebäude in Erbil, Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan (ARK), sind am Dienstagmittag Demonstranten aufgezogen. Sie haben Bilder von Masud Barzani und kurdische Fahnen mitgebracht. In dieser schweren Zeit könne es nur einen geben, heißt es hier. Barzani müsse im Amt bleiben, Bagdad die Stirn bieten, die Unabhängigkeit erreichen.

Doch der 71-Jährige, der zwölf Jahre lang an der Spitze der ARK stand, will nicht mehr. In einem Brief an das Regionalparlament teilte Barzani am Wochenende mit, dass er keine Verlängerung seines Mandats über den 1. November hinaus anstrebe. Die Befugnisse sollen, so wünscht er sich das, auf Parlament, Justiz und Regierung aufgeteilt werden. Das bedeutet faktisch, dass nun sein Neffe, Regierungschef Nechirvan Barzani, zusätzliche Kompetenzen erhält.

Dabei ist es erst wenige Wochen her, seit ein siegesgewisser Masud Barzani erklärte, er erlebe nun »den Höhepunkt« seiner Zeit als Präsident. Er warb immer wieder für ein Ja beim Unabhängigkeitsreferendum: Damit habe man eine »viel bessere Verhandlungsposition« gegenüber Bagdad. Doch schon kurz nach dem Referendum zeigte sich, dass sich Barzani verkalkuliert hatte. Iran, die Türkei, der Westen gingen auf Distanz, stellten sich auf die Seite Bagdads. Der irakische Regierungschef Haider al Abadi, der zuvor in kurdischen Medien immer wieder als schwach und als im Kampf gegen den Islamischen Staat auf die Hilfe der kurdischen Peschmerga angewiesen dargestellt wurde, wollte nicht verhandeln. Er schickte Militär und Volksmobilisierungskräfte, ein Verbund aus schiitischen Milizen, um die ölreiche Region Kirkuk einzunehmen. Sie gehört offiziell nicht zum Gebiet der ARK, wurde aber nach der Vertreibung des IS 2015 von den Peschmerga kontrolliert. Dass auch dort über die kurdische Unabhängigkeit abgestimmt wurde, sah Bagdad als Provokation.

Die Männer und Frauen, die sich seit Sonntag immer wieder vor dem Parlament versammeln, sind allesamt Gefolgsleute der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK), die seit Jahrzehnten von der Barzani-Familie dominiert wird. Dass nun ein Barzani zurücktritt, sei für die Partei »Schock und Freude« gleichermaßen gewesen, sagt ein Parteisprecher: »Es hat uns bestürzt, dass der Präsident zu diesem schweren Schritt genötigt wurde.« Dennoch freue man sich, dass ein Politiker aus den eigenen Reihen damit etwas getan habe, was im Nahen Osten wirklich sehr, sehr selten vorkomme.

Ein Sprecher der Oppositionspartei Gorran verweist derweil darauf, dass Barzanis Präsidentschaft schon seit Jahren gegen die Regionalverfassung verstoßen habe. Danach darf ein Präsident nur maximal acht Jahre im Amt sein. Auch die Übertragung von Befugnissen des Präsidenten an andere Institutionen ist nicht vorgesehen. Barzani indes hatte sich 2013 und 2015 vom Parlament im Amt bestätigen lassen, dessen Legislaturperiode ist aber seit dem 21. September abgelaufen. Die für den 1. November vorgesehene Präsidentschafts- und Parlamentswahl war bereits kurz nach dem Konflikt um Kirkuk um acht Monate verschoben worden.

Viele DPK-Unterstützer sind nun wütend auf PUK und Gorran. Sie hätten sich gegen Barzani verschworen, um ihn aus dem Amt zu drängen. Während am Sonntag im Parlament Barzanis Brief verlesen wurde, versammelte sich draußen eine mit Knüppeln bewaffnete Menschenmenge. In mehreren Städten brannten in der Nacht zum Montag Büros der bislang an der Regierung beteiligten Patriotischen Union Kurdistans (PUK) und der Oppositionspartei Gorran. »Verräter« war an den Wänden zu lesen.

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