Rot-Rot stoppt Kreisreform
Ministerpräsident Woidke sagt wichtigstes Vorhaben der Regierungskoalition ab
»Welch hoher Aufwand. Schmählich. Ist vertan.« Treffend markiert dieser Satz aus Goethes »Faust« den Zustand der Landespolitik nach dem Paukenschlag vom Mittwoch: Ausgerechnet zum Auftakt seiner neuen Besuchsreihe unter dem Titel »ZukunftsTour Heimat«, die ihn am Morgen in die Prignitz führte, verkündete Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) den Ausstieg aus der geplanten Kreis- und Strukturreform.
Es werde die am 15. November vorgesehene Abstimmung im Landtag über das Gesetzesvorhaben wegen des Widerstandes der kommunalen Ebene nicht geben, sagte der Ministerpräsident am Mittwoch in Meyenburg (Prignitz). »Das folgt aus Verantwortung für dieses Land. Es geht darum, das Land zusammenzuhalten.«
Woidke betonte, dass er seine Entscheidung mit dem Chef des Koalitionspartners, Christian Görke (LINKE), abgestimmt habe. Görke ist stellvertretender Ministerpräsident und Finanzminister.
Auch die LINKE gestand das Scheitern des Projekts ein. »Demokratie muss ohne Brechstange auskommen und braucht Mehrheiten in Parlament und Gesellschaft«, erklärten der Landesvorsitzende Christian Görke und Fraktionschef Ralf Christoffers in einer gemeinsamen Erklärung. »Für das Projekt Verwaltungsstrukturreform in der bislang vorgesehenen Form haben wir keine breite Zustimmung im Land erzielen können.« Es sei nicht gelungen, den Zusammenschluss von Landkreisen nachvollziehbar zu begründen. Dennoch gebe es angesichts der demografischen Entwicklungen Veränderungsbedarf, heißt es in der Erklärung. Daher solle nun statt in die Reform in die Infrastruktur des Landes investiert werden. Die LINKE sei bereit, den kreisfreien Städten bei ihrer Entschuldung zu helfen, wenn diese bei zentralen Aufgaben zur Zusammenarbeit mit den benachbarten Kreisen bereit seien.
Regierungschef Woidke kündigte an, man werde das ursprünglich für die Reform vorgesehene Geld in Höhe von gut 400 Millionen Euro nun unter anderem in die Infrastruktur investieren. Damit geht Woidke auf eine zentrale Forderung der Opposition ein, die die Reform vehement bekämpft hatte. Auf den Tag genau vor einem Jahr war mit Unterstützung der CDU eine Volksinitiative gegen die Kreisgebietsreform gestartet worden.
Die Koalition hatte zunächst mit Blick auf die rückläufige Bevölkerungsentwicklung angekündigt, die Gesamtzahl der Kreisverwaltungen im Land von 18 auf zehn zu reduzieren. Nach Kritik war 2016 der Neuzuschnitt der Verwaltung korrigiert worden, sodass am Ende von 14 Landkreisen elf übrig bleiben sollten. Von den bisher vier kreisfreien Städten sollte nur die Landeshauptstadt Potsdam ihren Status behalten, während man Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg/Havel in die angrenzenden Kreise eingliedern wollte.
Woidke hatte seine Entscheidung am Morgen in einer Telefon-Schaltkonferenz mit der SPD-Landtagsfraktion und den SPD-Ministern bekannt gegeben. Über personelle Konsequenzen soll dabei nicht gesprochen worden sein. Zu Spekulationen über einen Rücktritt von Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD), der die Reform maßgeblich vorangetrieben hatte, äußerte sich Woidke nicht.
Wie aber kurz darauf bekannt wurde, gibt SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz ihr Amt auf. Geywitz galt wie Schröter als entschiedene Verfechterin des Reformprojektes. Die Generalsekretärin und er würden sich im gegenseitigen Einvernehmen trennen, beteuerte Woidke, der zugleich SPD-Landesvorsitzender ist. Es werde eine andere Lösung für die SPD im Land geben.
Auf der Ebene der Landtagsfraktionen habe es im Vorfeld der Absage keinen Informationsaustausch zwischen den Koalitionspartnern SPD und LINKE gegeben, sagte der innen- und kommunalpolitische Sprecher der Landtagsfraktion der LINKEN, Hans-Jürgen Scharfenberg, dem »nd«.
Scharfenberg vermochte nur schlecht, seine Enttäuschung zu verbergen. »Man kann sich nicht vorstellen, wie viel Zeit und Energie ich in dieses Projekt gesteckt habe«, sagt er. Von der Entscheidung Woidkes sei er überrascht worden. »Die Gesetzentwürfe sind nun keine Diskussionsgrundlage mehr, der Ministerpräsident hat natürlich das Recht, sie zurückzuziehen.« Letzter Anstoß für Woidkes Schritt sei offenbar die enorme Zuspitzung der Debatte durch die nahezu einhellige Ablehnung der Kreis- und Aufgabenreform durch die kommunale Ebene und die kommunalen Verbände gewesen. Aus einer hohen Anspannung heraus müsse man sich nun darüber verständigen, wie man diesem Reformbedarf auf anderem Wege nachkommen wolle. »Wir haben die Verantwortung dafür, die Bedingungen in den Kommunen so optimal wie möglich zu gestalten«, sagte Scharfenberg. Wie dies nun erfolgen müsse, sei aber unklar. Zugleich räumte Scharfenberg ein, dass die vielen Kommunalkonferenzen, auf denen das Projekt erklärt werden sollte, nicht zu mehr Verständnis auf der Kreisebene beigetragen hätten, eher zum Gegenteil. Auch in der eigenen Partei habe es im Vorfeld genügend Stimmen gegen die Reform gegeben, so der Innenexperte der Linksfraktion im Landtag.
In ihrer Ablehnung der Reform bestätigt sieht sich die CDU. Fraktionsvize Jan Redmann sagte dem »nd«, den Worten Woidkes müssten nun Taten folgen. Es reiche nicht mehr, lediglich die Gesetzesentwürfe zurückzuziehen und die geplante Abstimmung im Landtag auszusetzen. Vielmehr müsse der Regierungschef nun die Forderungen des laufenden Volksbegehrens erfüllen. Nach Forst- und Polizeireform sei die Kreisreform schon das dritte Reformprojekt, dessen Scheitern der SPD-Politiker Woidke verantworte, rechnete Redmann vor. Die abgesagte Kreisreform habe das Land drei Jahre gekostet.
Bei den Anhörungen der kommunalen Vertreter unlängst im Landtag war es vor allem der Vorsitzende des Städte- und Gemeindebundes Brandenburgs, Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), der mit seinen Äußerungen das Projekt Kreisreform seines Genossen Woidke torpediert hatte. Einzig ver.di-Landeschefin Susanne Stumpenhusen hatte das Projekt Funktional- und Kreisreform nicht in Gänze abgelehnt. Das Land benötige eine Verwaltung, die auch noch in zehn oder 20 Jahren funktioniert, hatte sie vor den Abgeordneten erklärt. Es sei richtig, bürgernahe Strukturen im Blick zu haben.
So gab es neben Zustimmung zum Ausstieg auch mahnende Worte. Der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Karl-Ludwig Böttcher, erklärte, die kommunalen Spitzenverbände seien gesprächsbereit. »Der Schritt war zu erwarten, weil der Druck gegen diese Art der Verwaltungsstrukturreform aus der kommunalen Ebene zu groß war«, sagte er. So lasse sich eine Reform nicht durchsetzen. Ungeachtet dessen sei Reformbedarf da. »Ein wesentlicher Fehler war der, dass es in der ganzen Zeit keine Gespräche zwischen den Spitzenvertretern der Kommunen und Ministerpräsident Woidke gab.«
Der Cottbuser Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) erklärte: »Der Schritt jetzt kommt sehr spät, aber noch nicht zu spät. Die Landesregierung hat es nicht geschafft, Vorteile dieser Reform zu belegen.« Auch aus Sicht von Steffen Scheller (CDU), Bürgermeister von Brandenburg/Havel, war Woidkes Entscheidung überfällig, denn die Kreisreform sei nicht mehr zu halten gewesen. Und seine in den Bundestag gewechselte Amtsvorgängerin Dietlind Tiermann (CDU) kommentierte: »Der Versuch, gegen die Bürger und die kommunale Familie zu regieren, hat sein konsequentes Ende gefunden.« Frankfurts Oberbürgermeister Martin Wilke (parteilos) sagte: »Der Stopp der Kreisgebietsreform ist ein folgerichtiger Schritt. Es ist eine vernünftige Entscheidung im Interesse unseres Landes.« Die Debatten und Diskussionen hätten gezeigt, dass die Bürger in Brandenburg mitgestalten wollen.
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