Ringen um die Schwarze Liste

Die Bundesregierung verhinderte jahrelang eine stärkere Bekämpfung von Steuerflucht und -vermeidung

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie nach jedem Leak, so fordern und versprechen auch nach der Veröffentlichung der Paradise Papers Politiker Maßnahmen gegen Steuerflucht. »Es ist absolut nötig, dass wir unser Programm gegen Steuervermeidung und aggressive Steuerplanung beschleunigen«, sagte EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici nach einem Treffen der EU-Finanzminister am Dienstag in Brüssel. So soll die schwarze Liste mit Steueroasen noch dieses Jahr veröffentlicht werden. Dabei bremste vor allem auch Berlin jahrelang Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerflucht und -vermeidung aus.

Die nun von Brüssel in Angriff genommene Liste müsse »glaubwürdig« sein und »angemessene Sanktionen« für die betreffenden Länder vorsehen, erklärte Moscovici. Seine Behörde arbeitet schon seit April 2016 an dieser Aufstellung. Die Liste ist die Konsequenz aus den Panama Papers, die ebenfalls aufzeigen, wie Prominente, Reiche und Mächtige ihr Geld in Briefkastenfirmen verstecken. Eigentlich wollte man sich bis Ende des Jahres mit dem Fertigstellen der schwarzen Liste Zeit lassen. Nun könnte es jedoch ein bisschen schneller gehen. Die EU-Finanzminister könnten sie bereits bei ihrem nächsten Treffen am 5. Dezember beschließen.

Im Gegensatz zu den Panama Paper zeigen die jetzt veröffentlichten, 13,4 Millionen Dokumente umfassenden Paradise Papers nicht nur, wie Privatpersonen tricksen. Auch Konzerne wie Nike und Apple tauchen in den vertraulichen Dateien der Anwaltskanzlei Appleby auf, die das internationale Journalistenkonsortium ICIJ unter Beteiligung von »Süddeutscher Zeitung«, NDR und WDR auswertete.

»Was jetzt allen klar sein dürfte, ist, dass die Bekämpfung von Steuerfluchtmöglichkeiten und Steueroasen ganz vorn auf die Tagesordnung muss«, erklärte SPD-Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles am Dienstag. Diejenigen, die Konstruktionen zur Steuervermeidung nutzten, stellten sich gegen das Gemeinwohl. Als eine erste Konsequenz forderte Nahles eine Mindestbesteuerung von Unternehmen an dem Ort, wo diese Gewinne machen und nicht da, wo sie ihren Sitz haben. Auch sollten Nahles zufolge alle bestraft werden, die anderen bei der Steuerhinterziehung helfen.

Allerdings taucht mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder auch ein Sozialdemokrat in den Paradise Papers auf. LINKE-Chef Bernd Riexinger erwartet deshalb von der SPD, dass sie einen »klaren Trennungsstrich« zwischen sich und Schröder zieht. »Die Paradise Papers zeigen erneut, dass die Reichen und Konzerne offensichtlich in ihrer eigenen Parallelgesellschaft leben, in der Steuerhinterziehung an der Tagesordnung ist«, so Riexinger weiter. Die Behörden seien machtlos und die politisch Verantwortlichen unwillig, daran etwas zu ändern. Dabei spricht sich Riexinger für die Schaffung einer Bundesfinanzpolizei und ein entschlossenes Vorgehen gegen Banken aus, die Beihilfe zu Steuerhinterziehung und Geldwäsche leisten. »Die Finanzpolizei soll dem Finanzministerium zugeordnet werden und Kompetenzen von Bundespolizei und Bundeskriminalamt erhalten«, so Riexinger.

Laut dem französischen Ökonomen Gabriel Zucman verliert die EU 20 Prozent ihrer potenziellen Unternehmenssteuereinnahmen, weil Konzerne Gewinne in Steueroasen verschieben. Das sind 60 Milliarden Euro pro Jahr. Besonders leidet der deutsche Fiskus unter Steuerflucht. Ihm entgeht fast ein Drittel der Unternehmenssteuereinnahmen, wie Statistiken zeigen, die Zucman auf seiner Internetseite veröffentlicht hat. So gehen dem Staat jährlich 17 Milliarden Euro für Kitas, sozialen Wohnungsbau oder Flüchtlingshilfe verloren.

Der traurigen Nummer zwei, Frankreich, fehlen 11,4 Milliarden Euro beziehungsweise knapp ein Viertel der potenziellen Unternehmenssteuereinnahmen. Besonders ärgerlich für die beiden Länder und den Rest Europas: Der Großteil des Schadens entsteht, weil Konzerne ihr Geld in innereuropäische Steueroasen wie die Niederlande, Irland oder Luxemburg verschieben. Für Deutschland macht dies knapp 12 Milliarden, für Frankreich 7,7 Milliarden und EU-weit knapp 43 Milliarden Euro aus.

»Es gibt durchaus wirksame Mittel gegen Steuertricks von Konzernen und Reichen - sie müssen nur angewandt werden«, erklärte Alfred Eib von der globalisierungskritischen Organisation Attac. Wenn Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sage, der Kampf gegen Steuerflucht gleiche dem gegen eine Hydra, der für jeden abgeschlagenen Kopf ein neuer nachwachse, dann sei das eine Bank-rotterklärung der Politik.

So fordert Attac etwa ein öffentliches Transparenzregister, das die wahren wirtschaftlichen Eigentümer hinter Briefkastenfirmen, Trusts und Stiftungen offenlegt. Ein solches Register wird auch vom EU-Parlament gefordert. Doch Schäuble, der bis vor Kurzem noch Bundesfinanzminister und damit zuständig für das Thema war, hat zusammen mit weiteren EU-Regierungen stets versucht, den öffentlichen Zugang zu diesen Informationen zu beschränken.

In Bezug auf die Steuerflucht von Unternehmen könnte Attac zufolge neben einer EU-weit einheitlichen Besteuerung mit verpflichtenden Mindeststeuersätzen ein öffentliches Country-by-Country-Reporting helfen. Da müssten Konzerne offenlegen, in welchen Staaten sie aktiv sind und wie viel Umsatz, Beschäftigte, Investitionen, Gewinne und Steuern in dem jeweiligen Land anfallen. Doch auch hier wehrte sich Berlin bisher gegen Vorschläge des EU-Parlaments.

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