Linke wählten offenbar AfD-Bürgermeister

Alexander Gaulands früherer Pressesprecher Detlev Frye steht nun an der Spitze der Kleinstadt Lebus

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Detlev Frye ist nicht Deutschlands erster AfD-Bürgermeister, denn das ist schon vor Jahren Hans Liesegang im mecklenburgischen Dorf Zepelin geworden. Aber Detlev Frye ist der erste AfD-Bürgermeister in Brandenburg. Nach dem Rücktritt der bisherigen Bürgermeisterin von Lebus (Märkisch-Oderland) ist Frye am Freitagabend im Stadtparlament mit zehn Stimmen übergangsweise als ehrenamtlicher Bürgermeister eingesetzt worden. Das Pikante dabei: Angeblich haben neben CDU-Kommunalpolitikern und anderen auch Michael Karcher und Michael Buchheim für Frye votiert. Das sorgt für Aufregung. Denn Karcher und Buchheim sind bei der Kommunalwahl 2014 als Parteilose für die LINKE angetreten. Damals wurden 16 Verordnete gewählt, die meisten gehören unabhängigen Bürgerzusammenschlüssen an.

CDU und LINKE sind nun in Erklärungsnot geraten. Mit 100-prozentiger Sicherheit lässt sich zwar nicht sagen, wie Karcher, Buchheim und die CDU wirklich abgestimmt haben. Denn es war eine geheime Wahl, und Buchheim will nichts weiter dazu sagen, als dass die Kommunalpolitik in Lebus sich generell an der Sache und an der Person orientiere und nicht an der Parteizugehörigkeit. Ob er nun für oder gegen Frye gestimmt hat, das lässt Buchheim offen.

Aber Karcher soll vor der Abstimmung am Freitagabend sogar noch für Frye geworben haben, wird berichtet. Karcher soll auch eine mögliche linke Unterstützung signalisiert haben. Außerdem sollen drei andere Stadtverordnete deutlich gemacht haben, dass sie selbst gegen Frye gestimmt haben. Mehr als drei Gegenstimmen gab es aber nicht.

Die LINKE-Kreisvorsitzende Bettina Fortunato kennt Karcher und Buchheim als »kluge Männer« und kann bestätigen, dass sie für soziale Gerechtigkeit und Toleranz eintreten. Gerade darum wäre Fortunato nicht im Traum darauf gekommen, dass die beiden für einen AfD-Kommunalpolitiker stimmen würden. Sie wollte es erst gar nicht glauben. »Mit Zorn und Unverständnis« nimmt Fortunato nun zur Kenntnis, dass sie es offenbar doch getan haben. »Für einen Bürgermeister die Hand zu heben, der einer rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Partei angehört, entspricht nicht meinem linken Verständnis«, betont sie. Der Kreisverband distanziere sich von diesem Verhalten. Zu keinem Zeitpunkt werde die LINKE »Menschen unterstützen, die mit Halbwahrheiten, rassistischen Äußerungen und Handlungsschwerpunkten eine friedliche, offene und solidarische Gesellschaft verhindern wollen«, versichert Fortunato. »Das gilt auch und vor allem für Herrn Detlev Frye.«

Der LINKE-Landesvorstand forderte Karcher und Buchheim am Sonnabend auf, »ihre Mandate niederzulegen«, wie Landesgeschäftsführerin Anja Mayer mitteilte. So weit wollte die Kreisvorsitzende Fortunato nicht gleich gehen, sondern erst mit den beiden Stadtverordneten sprechen, die sie bis dahin telefonisch nicht erreichen konnte. Öffentlich fragte sie aber, wie Karcher und Buchheim, »ihr Abstimmungsverhalten ihren Wählern erklären wollen«, die sie ja schließlich für die LINKE ins Stadtparlament gewählt hätten. Die LINKE ist auch anderswo mit offenen Listen angetreten. In Lebus sitzen für die LINKE sogar ausschließlich die zwei Parteilosen Karcher und Buchheim im Parlament der rund 3000 Einwohner zählenden Kleinstadt. Nach Ansicht Fortunatos muss die Partei aus dem Eklat lernen und nachdenken, wie sie durch Gespräche vor Nominierungen oder durch Schulungen sicherstellen könnte, dass parteilose Mandatsträger rote Haltelinien kennen und respektieren.

Was Karcher und Buchheim betrifft, weiß sie sich aber keinen Rat. Schließlich ist Karcher als Chef einer Agrargenossenschaft für sein soziales Verantwortungsgefühl bekannt und Buchheim als ehemaliger Leistungssportler und Trainer für seine Weltoffenheit. Als Sportschütze reiste er 1972 mit der DDR-Mannschaft zu den Olympischen Spielen in München und gewann dort eine Bronzemedaille, erlebte in seinem Quartier im olympischen Dorf die blutige Geiselnahme des israelischen Teams hautnah mit. Fremdenfeindlichkeit lehnt er ab. Sensibilität dafür, wie mit der AfD aus prinzipiellen Erwägungen heraus umzugehen wäre, hätte man von Karcher und Buchheim eigentlich erwarten dürfen. Sie sind zwar keine Genossen, aber links eingestellt.

Andererseits ist die Situation in Lebus auch eine besondere. Nachdem die bisherige Bürgermeisterin Britta Fabig ihre ehrenamtliche Funktion zum 31. Oktober niedergelegt hatte, stand die Kommune führungslos da. Bis zum 15. Januar sollen sich Bewerber melden, damit die Stadtverordneten dann voraussichtlich im Februar einen von ihnen auswählen können. Sieger könnte wieder Detlev Frye sein. Zunächst ging es aber nur darum, für die Zeit bis zum Februar einen Ersatz für die frühere Bürgermeisterin Fabig zu finden. Frye war der Einzige, der sich für diese Aufgabe meldete. Eine Alternative zur Alternative für Deutschland gab es also anscheinend nicht. Zu bedenken ist auch, dass Detlev Frye einmal Pressesprecher der AfD-Landtagsfraktion unter Alexander Gauland gewesen ist. Das war aber bereits zu der Zeit, als in der AfD noch der neoliberale Ökonomieprofessor Bernd Lucke das Sagen hatte, und die Partei sich gerade erst wegbewegte von ihrem zuvörderst eurokritischen Kurs und immer stärker nationalkonservative und schließlich rechte Töne anschlug. Auch Gauland polarisierte damals noch nicht so heftig und nicht so häufig, wie er es inzwischen tut.

Frye pflegte als Pressesprecher einen sachlich-professionellen Stil. Die Öffentlichkeitsarbeit war noch nicht so extrem auf Poltern gegen die sogenannten Altparteien angelegt. Die AfD gab sich noch einen einigermaßen bürgerlichen, gewissermaßen braven Anstrich. In Lebus soll Frye nie mit fremdenfeindlichen Bemerkungen aufgefallen sein. Währenddessen habe er aber im September bei seinem gescheiterten Versuch, Bürgermeister von Seelow zu werden, durchaus nationale Töne angeschlagen nach dem Motto »Jobs für Deutsche«, wie sich die LINKE-Kreisvorsitzende Fortunato erinnert.

So oder so ist das Signal seiner Wahl zum Bürgermeister fatal, auch wenn er vielleicht ein weniger strammer AfD-Mann ist und den Posten nur vorübergehend übernimmt. Obwohl Karcher und Buchholz parteilose sind, wird es heißen, zwei Linke haben ihn sogar auch gewählt, und das wird der AfD zum Vorteil gereichen.

Dass Buchheim sein Mandat niederlegt, ist nicht zu erwarten. Der 68-Jährige war früher PDS-Mitglied, hat einen Sitz im Stadtparlament noch als Genosse und zwischendurch auch als parteiloser Einzelbewerber gewonnen. Er kann sich denken, dass die Lebuser ihn als Person angekreuzt haben. Bei Kommunalwahlen geht es in kleinen Städten und Gemeinden schließlich immer um Namen. Wäre sofort Kommunalwahl und nicht erst 2019, so hätte Buchheim als Einzelbewerber eine Chance. Nach Lage der Dinge könnte dann aber auch die AfD profitieren, die bislang nur mit Frye in der Stadtpolitik vertreten war.

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