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Dritte Halbzeit im Innenausschuss

Die Gewalt rund um Fußballspiele verlagert sich weg von den stark überwachten Stadien, die Polizei ist nicht immer vorbereitet

  • Felix von Rautenberg
  • Lesedauer: 3 Min.

Fußballstadien sind kaum noch Orte der Gewalt. In Zeiten von Videoüberwachung, Ganzkörperkontrollen und Gesichtserkennung haben gewaltbereite Fans ihre sogenannte »dritte Halbzeit« längst in die umliegenden Straßen, Kneipen, Industriegebiete oder Waldwege exportiert. So auch am 25. Februar 2017, als rund hundert Fans von Hertha BSC und Eintracht Frankfurt den 22. Spieltag zum Anlass nahmen, sich zu einer solchen spontanen »Drittortbegegnung« an der Moabiter Beusselstraße, Ecke Wyclefstraße zu treffen.

»Nachdem die Einsatzkräfte vor Ort waren, wurden 88 Personen in Gewahrsam genommen«, berichtet Anja Röder von der Polizeidirektion II über den Einsatz auf der Sitzung des Innenausschusses am Montag. Die Polizeiführerin, die die Einsätze um die Spiele von Hertha BSC koordiniert und das Olympiastadion als den »Tatort« ihrer Arbeit bezeichnet, lobt das Sicherheitskonzept im Stadion selbst. Im Vorfeld »haben wir jedoch nichts über die Anreise der Frankfurter Problemfans erfahren können«.

Bei dem spontanen Polizeieinsatz seien die zuerst eintreffenden Beamten in großer Gefahr gewesen, denn es sei zur spontanen Solidarisierung der sonst verfeindeten Fanlager gegen die Polizei gekommen, erklärt Röder. »Das wurde erst durch Schießhaltung unterbunden«, so die Polizistin. Ansonsten sei die Zusammenarbeit ihrer Behörde mit den Fanbeauftragten von Hertha BSC jedoch bestens: »Im Stadion halten wir uns immer mehr im Hintergrund, das vermindert das Aggressionspotenzial.«

»Nur 1,1 Prozent aller Spiele, die wir im vergangenen Jahr in Berlin hatten, waren mit gewaltsamen Ausschreitungen verbunden«, sagt Innensenator Andreas Geisel (SPD). Er lobt die Arbeit der in den letzten Wochen so oft gescholtenen Polizei: »Die Zahlen zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.«

Nach Aussage des Innensenators seien von den insgesamt 181 Fußballspielen, die in Berlin in der Saison 2016/17 in den oberen vier Ligen ausgetragen wurden, 107 störungsfrei verlaufen. Nur bei 34 Spielen habe es nennenswerte Vorkommnisse gegeben. 79 Menschen wurden verletzt, darunter 27 Einsatzkräfte, so Geisel, der darauf erklärt: »Das ist der niedrigste Wert seit der Saison 2013/14, die Zahl hat sich halbiert.«

Einzig CDU-Innenexperte Burkard Dregger (CDU) kritisiert, dass man die »Randalierer« nach ihrer Festnahme in Moabit ruhig auch in Anschlussgewahrsam hätte nehmen können.

»Das Gewahrsam muss da enden, wo die polizeiliche Maßnahme, also das Spiel, endet«, entgegnet Thomas Herrich von Hertha BSC. »Ich würde nicht von einer grundlegenden Radikalisierung der Fanszenen sprechen. Ultraszenen sind in einem stetigen Wandel und treten unterschiedlich auf. Damals war es nur die Präsenz im Stadion, heute steht man für die Stadt ein und verteidigt sein Revier«, erklärt der Fanbeauftragte. Bei Hertha stehe der Dialog im Vordergrund. Jeder der ins Stadion geht, sei ein Fan, so Herrich, der sagt: »Wir haben einen Sicherheitsrat, wo sich der Einzelne zu seinen Vergehen äußern kann. Die Maßnahmen erfolgen dann erzieherisch in Form von Sozialstunden oder Hausverboten.« Dass der Dialog jedoch da scheitert, wo sich rund hundert Fans auf der Straße schlagen, scheint dabei im Innenausschuss vergessen.

Auch die abschließende Diskussion über den Umgang mit Pyrotechnik zeugt von einer gewissen Unkenntnis einiger Ausschussmitglieder. So sagt Frank Zimmermann (SPD) zur Legalisierung von Pyrotechnik: »Ich kann für uns klarmachen, dass wir etwaigen Ideen der Legalisierung entschieden entgegentreten werden.« Dabei gibt es diese Überlegungen in anderen Bundesländern durchaus.

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