Kein Wahlboykott in Katalonien
Die Unabhängigkeitsbewegung setzt politische Gefangene und Exilierte auf Spitzenplätze
Die Einheitsliste von 2015 ist passé: »Junts pel Si« (Gemeinsam für das Ja), die lagerübergreifende Formation von Unabhängigkeitsbefürwortern, wird es bei den von Madrid angeordneten außerplanmäßigen Wahlen am 21. Dezember in Katalonien nicht mehr geben. Antreten werden die Unabhängigkeitsparteien, die die Katalanische Republik am 27. Oktober im Parlament erklärt hatten, jedoch allesamt. Das führte dazu, dass Spanien Katalonien unter Zwangsverwaltung gestellt, die Regierung offiziell aufgelöst und Wahlen angesetzt hat. Die fallen erstmals auf einen Wochentag, damit nicht am 24. Dezember gewählt werden muss.
Der bisherige katalanische Regierungschef Carles Puigdemont, der sich im belgischen Exil befindet, will eine breite Liste mit dem Namen »Junts per Catalunya« (Gemeinsam für Katalonien) anführen. Dem Christdemokraten ist es gelungen, für den zweiten Listenplatz Jordi Sànchez zu gewinnen. Der Präsident der großen Katalanischen Nationalversammlung (ANC) sitzt seit fünf Wochen wegen »Aufruhr« im spanischen Gefängnis. Der ANC hat erklärt, dass Sànchez wegen seines Sprungs in die Politik von seinen Ämtern zurücktritt.
Dieser Vorgang ist nicht einmalig. 2015 wechselte seine Vorgängerin Carme Forcadell vom ANC-Vorsitz auf den zweiten Listenplatz von Junts pel Si. Forcadell wurde nicht inhaftiert, weil für die nun geschäftsführende Parlamentspräsidentin nicht der Nationale Gerichtshof, sondern der Oberste Gerichtshof zuständig ist. Der sieht, anders als das Sondergericht, aber keine Flucht- und Wiederholungsgefahr, obwohl Forcadell sogar wegen angeblicher »Rebellion« angeklagt wird, worauf bis zu 30 Jahre Haft stehen. Der Oberste Gerichtshof will aber alle Fälle an sich ziehen, womit eine Freilassung der acht inhaftierten Minister, von Sànchez und des Präsidenten von Òmnium Cultural. Jordi Cuixart. auf die Tagesordnung rücken.
Cuixart will nicht in die Politik gehen, rief aber, angesichts des »beispiellosen Anschlags auf unsere Institutionen« und trotz »illegitimer« Wahlen dazu auf, »ein großartiges Ergebnis« zu erzielen. Er appelliert in einem Brief aus dem Knast daran, weiter auf keine Provokationen hereinzufallen und »ziviler und friedlicher als je zuvor« zu agieren und die »Einheit der Unabhängigkeitsbewegung in ihrer Vielfältigkeit zu wahren« und dies bei der Zusammenstellung der Listen zu beachten.
Forcadell, die seit vielen Jahren die Unabhängigkeitsbewegung anführt, hat sich entschieden, auf dem vierten Listenplatz der Republikanischen Linken (ERC) zu kandidieren. Die ERC, die laut allen Umfragen mit Abstand stärkste Kraft werden wird, will nicht mehr auf eine Einheitsliste, die nicht von ihr angeführt wird. Überraschungen sind aber nicht ausgeschlossen. Die derzeitige inoffizielle Parteichefin Marta Rovira befand sich am Mittwoch in Brüssel, um sich mit Puigdemont abzustimmen. Zwischen allen Kandidaturen der Unabhängigkeitsbewegung soll es aber »vollständige Koordination« geben, erklärte sie. Rovira wird real den Wahlkampf vom Listenplatz 2 anführen, denn der ERC-Chef und bisherige Vize-Regierungschef und ERC-Chef Oriol Junqueras sitzt im spanischen Knast Esmera.
Eigentlich hatten in Spanien viele gehofft, dass die linksradikale CUP die aufgezwungenen Wahlen boykottieren würde, wie die Antikapitalisten zunächst angekündigt hatten. Da dies zur Schwächung der Unabhängigkeitsbewegung geführt hätte, stimmten die Parteimitglieder am Wochenende mit fast 93 Prozent für eine Teilnahme. Die CUP hat offenbar von Fehlern der baskischen Linken gelernt. Als die linke Unabhängigkeitsbewegung 2009 nach einem Parteiverbot die Wahlen weitgehend boykottierte, konnten erstmals die Unionisten das Baskenland regieren. Die CUP will den Schlüssel nicht aus der Hand geben, denn sie hat in den vergangenen Jahren als Zünglein an der Waage den Prozess deutlich mitbestimmt.
Puigdemont hat sich weiterhin offen gezeigt für einen Dialog mit Spanien. »Ich bin immer noch für eine Einigung«, sagte Puigdemont der belgischen Zeitung »Le Soir«. »Es ist immer noch möglich«, sagte er auch mit Blick auf Kritik aus den eigenen Reihen, dass man überstürzt und nicht ausreichend vorbereitet die Unabhängigkeit erklärt habe.
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