Nachspiel für Kommunalspekulanten

Gericht verurteilt frühere Bürgermeisterin Pforzheims und ihre Stadtkämmerin wegen hochriskanter Zinswetten

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Zocker-Prozess gegen die früheren Oberen der baden-württembergischen Stadt Pforzheim hat ein Ende: Die ehemalige Oberbürgermeisterin Christel Augenstein ist wegen Untreue sowie Beihilfe zur Untreue am Dienstag vom Mannheimer Landgericht zu einer Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden. Die frühere Kämmerin von Pforzheim wurde zu zwei Jahren verurteilt. Beide Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Von einem »gravierenden Pflichtverstoß« sprach Richter Andreas Lindenthal. »Sie haben gewusst, dass Sie Handgranaten kaufen und keine Ostereier.«

Pforzheims Ex-Bürgermeisterin, die FDP-Politikerin Augenstein, war wegen seit 2002 abgeschlossenen riskanten Zinswetten ins Visier der Mannheimer Abteilung für Wirtschaftsstrafsachen geraten. Daraus drohten der 100 000-Einwohner-Stadt am nördlichen Rand des Schwarzwaldes für die Jahre 2014 bis 2017 Verluste von bis zu 77,5 Millionen Euro. Zu diesem Schluss gelangte die Gemeindeprüfungsanstalt (GPA) in ihrem 40-seitigen Bericht. Die Stadt drohte zeitweilig in den finanziellen Abgrund zu stürzen. Nach Vergleichen mit den beteiligten Banken soll der Schaden mittlerweile nicht ganz so schlimm sein.

Pforzheim ist kein Einzelfall. In den 2000er Jahren hatten viele Städte und Gemeinden die Steuerzahlungen ihrer Bürger mehr oder weniger hochriskant angelegt. Es lockten Extra-Einnahmen, mit denen die Kasse gefüllt oder Schulden abgebaut werden sollten. Banken, Sparkassen und Landesbanken gaben sich bei Bürgermeistern und Kämmerern die Klinke in die Hand, um für Derivate in Schweizer Franken, Zins-Swaps oder andere komplizierte Finanzprodukte zu werben. Die Geldinstitute versprachen sich üppige Provisionen, den Politikern wurden Chancen auf hohe Renditen schmackhaft gemacht.

Als besonders aktiv galten damals Deutsche Bank, Commerzbank, Hypo-Vereinsbank sowie die nordrhein-westfälische Landesbank WestLB. Allein in Nordrhein-Westfalen hatten laut Steuerzahlerbund 396 Kommunen riskante Spekulationsgeschäfte abgeschlossen.

Heute mag solche Zockerei unglaublich naiv erscheinen, doch infolge der Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte glaubten damals viele Politiker und auch Ökonomen an ewiges Wirtschaftswachstum und nachhaltigen Profit auf den Finanzmärkten. Dann brach im Sommer 2007 die Finanzkrise aus - die Finanzwetten drohten zu einem teuren Flop zu werden. Mittlerweile dürfte der Schaden für die öffentliche Hand in die Milliarden Euro gehen. Politiker reagierten vielerorts und klagten vor Gericht gegen ihre Bankberater, um die Verluste zu begrenzen.

Meistens vergeblich. Lediglich die inzwischen abgewickelte WestLB wurde mehrfach von Gerichten verurteilt. Oft aber konnten die Banken laut den Richtern hinreichend belegen, dass sie ausführlich beraten hatten und es die Gier der Politiker gewesen war, die Stadtkämmerer zu Spekulanten machte.

In einigen Fällen wie in Pforzheim oder Köln ermittelte die Staatsanwaltschaft auch gegen die Kommunen. In Köln wurde das Verfahren später eingestellt. Anders im Fall Pforzheim: Der GPA-Prüfbericht belegte, dass die Stadt einen Großteil der riskanten Finanzgeschäfte gar nicht hätte abschließen dürfen. Solche Zinswetten seien nur zulässig, um die Zinsbelastung aus bestehenden Krediten zu verringern, heißt es darin. Für die verlustträchtigen Transaktionen über die Deutsche Bank und JP Morgan sei dies nicht der Fall gewesen. Daher hätten diese gegen das gesetzliche Spekulationsverbot für Kommunen verstoßen.

Die Staatsanwaltschaft hatte nach den insgesamt 18 Verhandlungstagen für Augenstein zwei Jahre und vier Monate Haft und für die Kämmerin, eine Wirtschaftsmathematikerin, zwei Jahre und sechs Monate Haft gefordert. Die Verteidiger, darunter FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki, plädierten auf Freispruch.

In ihrem Schlusswort beteuerte die ehemalige Oberbürgermeisterin noch einmal: »Ich habe immer uneigennützig und im Interesse der Stadt gehandelt.« Zerknirschter zeigte sich die Kämmerin: »Ich bedauere das sehr, dass der Stadt so ein gravierender Schaden entstanden ist.«

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