Retter des Heiligabendlandes

Über die alljährlichen Fake News der selbst erklärten Abendlandretter zur Vorweihnachtszeit

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Es gibt einen Witz über die selbst erklärten Retter des Abendlandes, der in diesen Tagen in den sozialen Netzwerken herumgereicht wird: »Wie heißen die vier Jahreszeiten eines Pegida- oder AfD-Anhängers? Frühling, Sommer, Herbst und Weihnachten.« Dieser Scherz ist als Reaktion auf eine Kampagne gedacht, die Vertreter des Besorgtbürgertums alle Jahre wieder kurz vor Beginn der Adventszeit im Netz lostreten: Weihnachten, dieses uralte Brauchtum der christlichen Hemisphäre zum ursprünglichen Zwecke der Bekehrung der Heiden, sei durch den Zuzug muslimischer Einwanderer und politische Korrektheit in Gefahr.

»Die Zeiten von Besinnlichkeit sind offenbar vorbei. Weihnachtszeit ist jetzt Empörungszeit«, nennt Stefan Lauer auf dem Anti-Rechts-Blog belltower.news das, was Verschwörungsfreunde auch 2017 betreiben. Sie scheinen einen »besonderen Narren an den drei Tagen gefressen zu haben, an denen entweder der Geburt von Jesus Christus gedacht oder der Konsum vor Silvester noch einmal auf die Spitze getrieben wird«. Allzu große Mühe ist dabei nicht gefragt: Mit den Verschwörungen rund um das Fest verhält es sich ähnlich wie mit dem weltlichen Ritual, die angestaubte Kiste Weihnachtsdeko aus dem Keller in die Wohnung zu holen: Es handelt sich um die stetige Wiederholung des immer Gleichen. Lauer bemerkt: »Das Problem dabei: relativ schnell stellen sich die Meldungen über angebliche Skandale als falsch, uralt oder schlicht frei erfunden heraus.«

Ein ähnlich nerviger Uraltklassiker wie Whams »Last Christmas« ist die Behauptung, landesweit würden Weihnachtsmärkte in Lichter- oder wahlweise Wintermärkte umgewidmet. 2017 traf dieser Vorwurf den Lichtermarkt in Elmshorn, wie der Blog mimikama.at berichtet. Eifrig zur Verbreitung dieser Fake News beigetragen hat die frühere CDU-Politikerin Erika Steinbach. Via Twitter verbreitete sie ein Werbeplakat besagten Lichtermarktes und kommentierte dieses mit den Worten: »Ich kenne kein Land außer Deutschland, das seine eigene Kultur und Tradition so über Bord wirft.«

Was die Empörten unterschlagen: Das vorweihnachtliche Treiben in Elmshorn trägt seit 2007 den Namen Lichtermarkt und soll auf die besonders heimelige Illumination der Glühwein-, Bratwurst- und Handwerksstände hinweisen. Dass diese Inszenierung genauso weit von einer Verleugnung des Weihnachtsfestes entfernt ist wie die Behauptung, Santa Claus sei eine Erfindung von Coca-Cola, kann jeder in der offiziellen Ankündigung des Elmshorner Stadtmarketings nachlesen, in der ebenso von Weihnachtsliedern und einem Weihnachtsdorf die Rede ist.

Auch die sächsische AfD versucht sich in Person ihres tourismuspolitischen Sprechers Detlev Spangenberg in der Rolle des Abendlandretters. »Kultureller Kotau geht weiter - immer mehr Lichter statt Weihnachtsmärkte« ist eine Mitteilung Spangenbergs überschrieben, die zur Beweisführung für den Kniefall vor »den ›Neubürgern‹ aus mohammedanischen Kulturkreisen« neben Elmshorn noch sechs angeblich weitere Fälle aufzählt. tag24.de machte sich die Mühe, alle Beispiele zu recherchieren. Bei keinem ließ sich ein Hinweis finden, dass der Name eine Reaktion auf muslimische Geflüchtete sein könnte. Am Lichtermarkt Münster lässt sich dies besonders gut zeigen: Dieser existiert seit 1978 und trägt den Zusatz St. Lamberti, benannt nach der Lambertikirche in Münsters Innenstadt. Mehr christlicher Bezug ist kaum möglich.

Würde sich manch Abendlandretter mit der Geschichte des Abendlandes auseinandersetzen, es wäre nicht nur ein Segen für die Bildung. Auch bliebe uns vielleicht eine alljährlich wiederkehrende Fake News erspart, mit der sich die »Dresdner Neuesten Nachrichten« auseinandersetzen. In verschiedenen rechten Gruppen verbreitet sich (wieder einmal) die Behauptung, die Stadt Dresden hätte nach 583 Jahren beschlossen, ihren Weihnachtsmarkt »aus Rücksicht auf die vielen muslimischen Flüchtlinge« umzubenennen. Nun dürfte zumindest jedes Kind in Sachsen wissen, dass der Dresdner Striezelmarkt als altehrwürdigste Instanz im Freistaat gilt, weil der Besuch des selbigen einem Pflichttermin gleicht. Egal scheint auch, dass der Striezel zu einem der religiös am stärksten aufgeladenen Hefegebäcke gehört und etwa in Bayern auch als Allerheiligenstriezel bekannt ist. Für die Sachsen ist er nichts anderes als das Synonym für den Dresdner Stollen, der - Abendlandunkundige sollten jetzt genau aufpassen - den Leib Christi als Baby symbolisiert.

Und um das Weltbild manches Empörten endgültig zu erschüttern: Die kirchliche Darstellung von Jesus als weißer Mann mit langen braunen Haaren ist historisch mindestens fragwürdig. Schon 2001 stellte ein britischer Forensiker die These auf, wonach das Antlitz eines historisch korrekten Jesus eher jenen Menschen entspricht, die Rechte abwertend nur unter dem Begriff »orientalischer Typ« kennen.

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