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Nicht auf Facebooks Linie

Laut Nutzern soll Online-Unternehmen ungefragt Abonnements abbestellen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Kerem Schamberger loggte sich jüngst wie üblich auf Facebook ein, doch einige Privatnachrichten irritierten ihn. Dem Münchener Kommunikationswissenschaftler und Marxisten wurde von verschiedenen Anhängern mitgeteilt, dass sie nicht mehr mit seinem Profil verbunden waren. Bei einer Prüfung stellte der 31-Jährige fest, dass er in den vergangenen zwei Monaten tatsächlich rund 5000 von 20 000 Abonnenten verloren hatte. Schamberger, der sich in sozialen Netzwerken ausdrücklich als Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sowie als Unterstützer von linkskurdischen Organisationen äußert, witterte politische Einflussnahme des Konzerns. Gemeinsam mit anderen Facebook-Nutzern stieß er eine Recherche bezüglich des geheimnisvollen Follower-Schwunds an, verschiedene Medien beteiligten sich.

Facebook selbst erklärte gegenüber den Medien »Netzpolitik.org« und »Bild«, dass eine Stichprobe unter den verlorenen Accounts ergeben habe, dass rund zehn Prozent Schamberger aus freien Stücken entfolgt hätten. 90 Prozent der Profile wären wegen »Verstößen gegen die Geschäftsbedingungen« des Unternehmens gelöscht worden. Andere Nutzer hätten diese Accounts gemeldet, weitere Informationen behielt der Konzern für sich.

Eine Spur führt möglicherweise in die Unternehmensrichtlinien von Facebook, in denen unter anderem die Unterstützung von nicht näher definierten »gefährlichen Organisationen« verboten ist. Schamberger veröffentlichte auf seinem Profil regelmäßig Fotos der syrisch-kurdischen Miliz YPG. Diese ist in Deutschland, der EU und USA nicht verboten, doch aus Sicht der Behörden ist sie eng mit der Arbeiterpartei Kurdistans, der PKK, verbunden. Diese ist seit 1993 in Deutschland illegal. Erst kürzlich durchsuchten Polizisten aufgrund auf Facebook veröffentlichter YPG-Flaggen Schambergers Wohnung.

Auch gegenüber dem Münchener Wissenschaftler meldete sich Facebook zu Wort. Der Konzern erklärte ihm, dass man noch bestehende Profile nie »entfreundet« habe. Dies steht im Widerspruch zu den Aussagen Dutzender betroffener Unterstützer. Schamberger forderte zur Klärung selbst die Daten über seine Abonnenten von dem Unternehmen an - normalerweise eine Standardoption für alle Nutzer. Bis heute hat er sie nach eigener Aussage nicht erhalten.

Die »taz« zeigte in einer weiteren Recherche auf, dass auch der »Spiegel«-Redakteur Hasnain Kazim in den vergangenen zwei Monaten ungefähr 4000 Abonnenten verloren hatte. Kazim arbeitete vormals als Türkei-Korrespondent für die Zeitschrift. Er forderte wie Schamberger Transparenz von dem Konzern.

Schon seit geraumer Zeit streiten Nutzer, Experten und Politiker über die politischen Einflussmöglichkeiten und Einflussnahmen von Facebook. Gerade deutschsprachigen Nutzern fällt es oft schwer, zu verstehen, warum etwa Bilder von Brüsten rigoros gelöscht werden, während fremdenfeindliche Inhalte verbreitet werden dürfen. Die Richtlinien der beiden Löschzentren, in Essen mit 500 Mitarbeitern und in Berlin mit 700 Mitarbeitern, gelten als intransparent. Das US-amerikanische Unternehmen wie auch sein deutscher Dienstleister, die Bertelsmanntochter Arvato, geben sich gegenüber Journalisten verschlossen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte seit dem vergangenen Jahr Druck auf Facebook ausgeübt, damit es verstärkt gegen »Fakenews« und menschenverachtende Inhalte vorgeht. Im Oktober trat das entsprechende »Netzwerkdurchsetzungsgesetz« in Kraft. Der Nachteil dieser Entwicklung ist nun offenbar eine Verlagerung der Deutungshoheit über strittige Inhalte zu einem intransparenten Konzern. Kritiker warnen bereits, dass die knappen Fristen des Gesetzes Online-Firmen dazu verleiten könnten, in unklaren Fällen eher zu löschen, um nicht mit Geldstrafen belegt zu werden.

In den USA läuft die Debatte über die politische Einflussname von sozialen Netzwerken derweil anders. Unter dem Druck des Kongresses erklärte Facebook am Mittwoch, dass es bis zum Jahresende eine Software anbieten will, mit denen Nutzer eine mögliche Beeinflussung durch russische Propaganda nachvollziehen können. Das Programm beziehe sich auf den Zeitraum des Präsidentschaftswahlkampfes, also Januar 2015 bis August 2016.

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