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Der Storch mit dem Pfeil

Zauber der Aufklärung: Florian Weiß und Lucia Jay von Seldeneck führen uns Merkwürdiges aus der Tierwelt vor Augen

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

1822 im Akademischen Museum Rostock: Draußen ist schon Nacht, als Professor Heinrich Gustav Flörke ein Paket des Großherzogs auspackt. Als Schenkung übergeben wird ein ausgestopfter Storch, der nahe dem mecklenburgischen Schloss Bothmer erschossen worden war und dem ein hölzerner Pfeil der Länge nach im Schnabel steckt ...

• Florian Weiß u. Lucia Jay von Seldeneck: Ich werde über diese Merkwürdigkeit noch etwas drucken lassen. Tiermeldungen aus zwei Jahrtausenden.
Buchgest. Claudia Eder. Kunstanstifter Verlag, 196 S., geb., 28 €.

Wie spannend Lucia Jay von Seldeneck erzählt und wie bewundernswert detailliert die Zeichnungen von Florian Weiß sind. Auf jeweils einer großformatigen Doppelseite, die man aufklappen kann, hat er Tiere porträtiert - mit Hilfe einer ganz besonderen Technik. Eine Tätowiermaschine hat er so umgebaut, auch das sieht man im Buch, dass damit winzig kleine Punkte auf Papier entstehen. Aus denen setzt sich dann zum Beispiel eine japanische Kompassqualle oder ein Paradiesvogel oder eben dieser Weißstorch zusammen, von dem man bis 1822 nicht wusste, dass es sich um eine jener Vogelarten handelt, die im Winter nach Afrika fliegen. Der Pfeil, aus tropischem Holz geschnitzt, lässt Professor Flörke die Augen übergehen. »Ich werde über diese Merkwürdigkeit noch etwas drucken lassen«, schrieb er in seinem Dankesbrief an den Großherzog.

Und das ist auch der Titel dieses außergewöhnlichen, ebenso prachtvollen wie packenden Buches. Wie eine Wunderkammer, ein Kuriositätenkabinett mag es einem beim ersten Blättern erscheinen. Denn es regt zum Staunen an. Aber was hier dargeboten wird, ist eine Geschichte über Entdeckungen, die im Moment seltsam erschienen, sich dann aber aufklärten. Schon lange hatte sich Lucia Jay von Seldeneck für Tiere interessiert. Tiermeldungen aus zwei Jahrtausenden zu 30 unterhaltsamen kleinen Erzählungen zu verarbeiten, das verlangte literarisches Geschick. Aber dafür musste sie diese Nachrichten ja erst einmal finden! Und dann ist ihr Trick, dass sie uns zunächst an die Seite einer (historisch verbürgten oder fiktiven) Person rückt, die ebenso staunt, wie wir es tun. Auf der Rückseite der jeweiligen Zeichnung von Florian Weiß gibt es eine Erklärung, die man mit mindestens ebenso großem Interesse liest, dazu noch eine Karte, die anzeigt, wo sich das alles zugetragen hat.

Zauber der Aufklärung. Hatte man bis 1927 doch tatsächlich geglaubt, dass das Blut von Fledermäusen die Nachtsicht beim Menschen verbessert? Und wie lange war der Mythos lebendig, dass Paradiesvögel keine Beine hätten! Was haben Maulwurfshügel mit Archäologie zu tun? Wodurch ist die winzige Taufliege so interessant? Nun, das werden viele vielleicht wissen, aber von einem Froschregen hatte ich noch nie gehört.

Der Literaturprofessor Ge-orge Smith muss ziemlichen Mut gehabt haben, als er 1873 Gästen in seinem Wohnzimmer einen Kraken vorführte. Hoffentlich ist das gut gegangen. Sibylla Merian war 1662 erst 15, als sie sich für die Metamorphosen des Schmetterlings interessierte. 2010 ist tatsächlich ein Alligator entwischt, als man ihn durch einen Tunnel von Ägypten in den Gazastreifen schmuggeln wollte. Und ein Jahr später durchkreuzte die kolumbianische Marine das Vorhaben von Schmugglern, mittels eines U-Boots in Gestalt eines Buckelwals, unbemerkt Kokain zu transportieren.

Aber wie hat der Storch mit dem Pfeil im Schnabel den Flug von Afrika nach Mecklenburg überstehen können? Rätsel bleiben eben immer.

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