Rassistisches Klima ist in Jüterbog normal

Einige Einwohner trauen sich aus Angst vor Neonazis nicht, ihre Solidarität mit Flüchtlingen offen zu zeigen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

An einem Spätsommerabend füllt sich der Platz vor der großen Bühne. Bewohner und Gäste der Stadt sitzen und liegen auf der Wiese, warten auf den Konzertbeginn. Jüterbog hat den Brandenburgtag ausgerichtet, und sich dabei von seiner besten Seite gezeigt. Am 4. September 1999 ist das gewesen. Es ist lange her und wirkt im Moment beinahe unwirklich.

Denn heute präsentiert sich Jüterbog ganz anders. Das ist schade für die Menschen, die nichts dafür können, wie einige Mitbürger die ganze Gegend in Verruf bringen. Den traurigen Höhepunkt markierte im Oktober 2016 der Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim. Der 21-jährige Täter Chris P. wurde in der vergangenen Woche zu fünf Jahren Bewährung verurteilt. Lässt er sich in diesem Zeitraum wieder etwas zuschulden kommen, muss er für zwei Jahre hinter Gitter. Ansonsten reicht es, wenn er 200 Sozialstunden ableitet – in der Flüchtlingshilfe.

Zwar hatten Betreuer die Flammen schnell löschen können. Doch da es auch anders hätte kommen können, hatte die Staatsanwaltschaft Anklage wegen versuchten Mordes an den schlafenden Heimbewohnern erhoben. Das klingt weitaus heftiger als die Tat des NPD-Kommunalpolitikers Maik Schneider, der im August 2015 eine Turnhalle in Nauen abgefackelt hatte. Dabei entstand ein Sachschaden von 3,5 Millionen Euro. Doch Menschenleben waren nicht in Gefahr. Denn die Halle stand leer. Sie sollte erst kurz darauf als Notunterkunft für Flüchtlinge verwendet werden. Zur Erinnerung: Der 29-jährige Schneider bekam für diese Brandstiftung und andere Delikte vom Landgericht Potsdam neuneinhalb Jahre Haft aufgebrummt. Chris P. dagegen kommt mit Bewährung davon, obwohl das Landgericht Potsdam es als erwiesen ansieht, dass er heimtückisch und gemeingefährlich handelte und den Tod der Heimbewohner billigend in Kauf nahm.

»Mit dem Strafmaß kann mein Mandant sehr zufrieden sein«, zitierte die »Märkische Allgemeine« den Verteidiger von Chris P., den sein Vater angestiftet haben soll. Das Landgericht behandelte Chris P. trotz seiner 21 Jahre nicht als Erwachsenen. Im Jugendstrafrecht aber, so hieß es zur Begründung des milden Urteils, dürfe die abschreckende Wirkung einer harten Strafe keine Berücksichtigung finden.

Der rassistisch motivierte Anschlag vom 1. Oktober 2016 ist eine der schwersten rechten Gewalttaten im Land Brandenburg gewesen, die der Verein Opferperspektive im vergangenen Jahr erfasste. Die öffentliche Wahrnehmung des Verfahrens gegen Chris P. – das übrigens viel weniger Aufmerksamkeit erregte als der Prozess gegen Maik Schneider – habe sich auf die Beschreibung des Tathergangs und die Äußerungen der Täter beschränkt, bedauerte Martin Vesely von der Opferperspektive. Es sei zu wünschen, »dass auch der rassistische Normalzustand in Jüterbog und Umgebung stärker in den Fokus« rücke. So sei der Brandanschlag im Jahr 2016 nur einer von neun rassistisch motivierten Angriffen im Kreis Teltow-Fläming gewesen. Allein sechs Angriffe habe es in Jüterbog und in benachbarten Gemeinden gegeben, »darunter am 7. Februar ein massiver Angriff von Rechten auf einen Jugendclub in Jüterbog, der auch von Geflüchteten frequentiert wird«. Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer berichten der Opferperspektive immer wieder von einem feindlichen Klima in der Region. Dies zeige sich auch in Beleidigungen und Bedrohungen beim Einkaufen im Supermarkt, heißt es. Menschen, die solidarisch mit Flüchtlingen sind, haben der Opferperspektive zufolge Angst, »dies in der Öffentlichkeit zu zeigen, weil sie Anfeindungen von Rechten befürchten oder bereits real bedroht werden«. Dieser Zustand sei für die Betroffenen unerträglich. Wenn dann auch noch der Bürgermeister – gemeint ist offenbar Arne Raue (parteilos) – »bewusst Ängste vor Geflüchteten schürt«, verschärfe dies die Situation zusätzlich.

»Es stimmt«, bestätigt Linksfraktionschefin Maritta Böttcher. Es betreffe längst nicht alle, aber es gebe tatsächlich einige Flüchtlingshelfer, die nicht einmal im Familienkreis offen über ihr Engagement zu reden wagen, erzählt die Stadtverordnete. Andererseits gebe es in Jüterbog jedoch eine »hervorragend funktionierende Flüchtlingshilfe«, in der von der CDU, über die Kirche bis zur Linkspartei viele mitwirken. Aber in die Kleiderkammer, die für alle offen sei, kommen nur die Flüchtlinge und keine Deutschen, obwohl es doch auch unter den Einheimischen arme Menschen gebe. Vorurteile und Gerüchte halten sich hartnäckig. So soll einmal eine 10-Jährige auf offener Straße belästigt worden sein. Aber obwohl sich herausstellte, dass das Mädchen sich das nur ausgedacht hatte, erinnern sich die Leute daran, als sei es wahr gewesen, bedauert Böttcher.

Wenn sie im Zug zur Arbeit nach Berlin pendelt, hört sie manchmal von Mitreisenden, am Bahnhof in Jüterbog könne man angeblich kein Fahrrad stehen lassen, weil es sonst von den Ausländern gestohlen werde. Dabei gebe es eine rührige Fahrradwerkstatt, in der gespendete Räder für Flüchtlinge repariert werden, berichtet Böttcher. Jeder Flüchtling habe von dort ein Fahrrad oder sogar mehrere und müsse keins stehlen. Es sei schon lange kein Fahrrad mehr am Bahnhof entwendet worden. Ungefähr 300 Asylbewerber leben im Moment in Jüterbog, ein Teil von ihnen in Wohnungen. »Es gibt nichts Negatives über Flüchtlinge bei uns zu berichten«, versichert die Linksfraktionschefin. Das Negative, das seien die rechten Taten und die »rassistische Hetze«, die der Bürgermeister betreibe, gegen den inzwischen vier Dienstaufsichtsbeschwerden vorliegen. Die Ironie dabei, Arne Raue sei als Bürgermeister automatisch auch Integrationsbeauftragter der Stadt.

Für das dritte Quartal 2017, konkret für den 26. August, registrierte die Polizei eine rassistische Beleidigung in Jüterbog, außerdem eine gefährliche Körperverletzung am 15. August in der Nachbargemeinde Niedergörsdorf. Im Ortsteil Altes Lager, wurde ein 25-jähriger Asylbewerber aus dem Tschad nach eigenen Angaben auf offener Straße erst von zwei Männern angespuckt, dann von vier Männern angehalten und geschlagen. Der 25-Jährige musste im Krankenhaus behandelt werden.

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