- Politik
- Prozess nach Hamburger G20-Protesten
Fabio V. frei unter Auflagen
Italienischer Anti-G20-Demonstrant konnte am Montag das Gericht das erste Mal ohne Handschellen verlassen
Unter lautem Applaus und ermunternden Zurufen zahlreicher ProzessbesucherInnen verließ Fabio V. etwas verlegen lächelnd nach der Verhandlung den Gerichtssaal in Hamburg und ging zügig ans Ende des Flures. Dort nahm er seine aus Norditalien angereiste Mutter Jamila Baroni in die Arme. Gemeinsam mit ihr verließ Fabio V. umringt von Kamerateams des NDR, eines Privatsenders und des italienischen Fernsehens RAI das Gerichtsgebäude. Bereits vor der Verhandlung war viel Italienisch zu hören gewesen, nicht nur unter den JournalistInnen, auch von linken Aktiven.
Die hatten vor dem Gerichtsgebäude eine kleine Begrüßung improvisiert, es wurde mit Prosecco angestoßen, Jamila Baroni reichte ihrem Sohn Stücke von einem großen Kuchen. Trotz des nasskalten Wetters war es eine fröhliche Runde, es wurden Parolen gerufen, viel fotografiert und gefilmt. Denn es galt das Ende der mehr als viermonatigen Untersuchungshaft für Fabio V. zu feiern.
Zum nächsten Gerichtstermin am 4. Dezember wird Fabio V. nicht mehr aus der Haft vorgeführt, sondern aus der von seiner Mutter angemieteten Wohnung in Hamburg kommen. Nachdem die Staatsanwältin Berit von Laffert mehrmals Widerspruch gegen eine Haftverschonung eingelegt hatte, konnte sich das Hamburger Oberlandesgericht erst am vergangenen Freitag dazu durchringen, eine solche zu befürworten.
Der fünfte Verhandlungstag am Amtsgericht Altona begann mit den Nachfragen der Richterin Wolkenhauer, ob die Auflagen für die Haftverschonung denn erfüllt seien. Rechtsanwalt Timmermann hatte alle notwendigen Papiere parat und so zogen die vier Vorführbeamten ab, welche Fabio V. aus der Jugendstrafanstalt Hanöfersand zum Amtsgericht gebracht hatten. Arne Timmermann hatte 10.000 Euro Kaution im Namen von Fabio V. hinterlegt, Fabio V. der Einsetzung seiner zweiten Rechtsanwältin Gabriele Heinecke als Zustellungsbevollmächtigter zugestimmt. Die Staatsanwältin tat sich hier einmal mehr mit einer kleinlichen Nachfrage hervor: Ob sie denn auch unwiderruflich die Zustellungsbevollmächtigte sei?
Fabio V. bekam die Auflage, sich an drei Tagen in der Woche im Polizeikommissariat 25 in Groß Flottbek zu melden und in die von seiner Mutter in Hamburg angemietete Wohnung zu ziehen. Da die Verhandlung wegen der Hinterlegung der Kaution durch den Rechtsanwalt erst verspätet beginnen konnte, war davor Zeit für ein Gespräch. »Dies ist der einzige G20-Prozess, den wir beobachten, wir halten ihn für beispielhaft«, erklärte Michèle Winkler gegenüber »nd«. »Insbesondere die Vorverurteilung in der Begründung des Oberlandesgerichtes Hamburg für die Fortführung der Untersuchungshaft vom Juli sehen wir sehr kritisch«, so die Prozessbeobachterin für das Komitee für Grundrechte und Demokratie. »Die Formulierung, Fabio V. hätte 'schädliche Neigungen', stammt ja aus einem Paragrafen, der aus dem Nationalsozialismus kommt«, so Winkler. »Das gerät jetzt zu Recht in die Kritik.«
Ein Mitarbeiter des italienischen Konsulats aus Hannover beobachtet ebenfalls den Prozess, hat Fabio V. mehrmals in der Jugendstrafanstalt besucht, ihm Formulare übersetzt, damit er etwas beantragen kann im Gefängnisalltag. Konsul Giorgio Taborri erklärte letzte Woche gegenüber der norditalienischen Zeitung »Corriere delle Alpi«: »Wir beobachten die Prozesstermine, sind in ständigem Kontakt mit der Familie und besuchen V. im Gefängnis.«
Der Konsulatsmitarbeiter erklärt auf Nachfrage, dass Fabio V. auch bald wieder in Italien erwartet werde. »Der Arbeitsplatz in der Plastikfabrik wird ihm freigehalten, so sagt es der Firmeninhaber.« Aber: »Ich habe ihm allerdings geraten, doch lieber erst einmal die Schule abzuschließen, bevor er wieder arbeitet.« Fabio habe erwidert, damit beschäftige er sich jetzt nicht, jetzt gehe es um den Prozess.
Der ist kompliziert, wie die gesamte Aufarbeitung der Anti-G20-Proteste. Die Staatsanwaltschaft hat den Italiener angeklagt, ohne dass ihm eine konkrete Tatbeteiligung an einer strafbaren Handlung nachgewiesen worden ist. Vorgeworfen wird ihm die Teilnahme an einer Spontandemonstration, bei der es am frühen Morgen des ersten Gipfeltages, am 7. Juli, zu Steinwürfen auf Polizeibeamte gekommen sein soll.
An der im Osten Hamburgs fernab vom Zentrum gelegenen Straße Rondenbarg kam es um 6:30 Uhr zu einem Zusammentreffen zwischen zwei Polizeieinheiten und einer Gruppe von etwa 200 Demonstrierenden, die vom einzigen erlaubten Camp des Gipfelprotestes in die Innenstadt aufgebrochen waren, um dort an den für diesen Tag geplanten Blockaden der Zufahrten zum G20-Gipfel-Tagungsort Messegelände teilzunehmen. Was dort genau geschah, darüber gehen die Darstellungen weit auseinander. Unstrittig ist: Es gab 70 Festnahmen, darunter 15 Verletzte mit Arm- und Beinbrüchen. Einer der Festgenommenen ist Fabio V., sein Prozess ein Präzedenzfall für die anderen Angeklagten vom Rondenbarg.
Und so ist es zwar sehr kleinteilig und streckenweise langatmig gewesen, wie Fabios V.s Rechtsanwältin Heinecke am Montag den Zeugen Polizeihauptkommissar Jokschat aus Dithmarschen in Schleswig-Holstein befragte, der eine der beiden Einheiten führte. Aber die erfahrene Anwältin schaffte es, dem Beamten Aussagen zu entlocken, die in eklatantem Widerspruch zu anderen Aussagen stehen: So erklärte der Beamte Jokschat, von Demonstrierenden seien sie mit »katzenkopfgroßen Steinen« beworfen worden, etwa fünf mal fünf Zentimeter im Maß. An einem früheren Prozesstag hatte der Beamte Elwert dagegen ausgesagt, die Steine seien etwa zwölf mal zwölf Zentimeter groß gewesen. Da die beiden Polizisten in unterschiedlichen Dienststellen arbeiten, konnten sie offensichtlich ihre Aussagen nicht abstimmen. Ein wesentlicher Vorwurf gegen die Demonstrierenden vom Rondenbarg, unter denen Fabio V. war, wird so unglaubwürdig.
Auf die Vorhaltung, der Pförtner einer am Rondenbarg ansässigen Firma hätte mehreren Polizeibeamten Hausverbot erteilt, weil die sich auf dem Firmengelände brutal verhalten hätten – unter anderem in dem sie einer Demonstrantin den Arm gebrochen haben sollen – , wusste der Beamte Jokschat keine Antwort. Konkret wird nur an einem Punkt: Die SOKO Schwarzer Block habe ihn gebeten, in seiner Dienststelle Zeugen für den Bewurf mit Steinen ausfindig zu machen. Ergebnis: Keiner der 40 Beamten von Polizeihauptkommissar Jokschat, die mit am Rondenbarg im Einsatz waren, konnte den angeblichen Bewurf durch die Demonstrierenden bezeugen. Die Beweisaufnahme wird am nächsten Verhandlungstag, dem 4. Dezember, fortgesetzt. Darüber hinaus soll es bis Ende Februar noch sechs weitere Prozesstage geben.
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