Erwerbslose können kämpfen
Autor Harald Rein sieht entgegen verbreiteter Vorurteile bei Armen Selbstbewusstsein
Wenn von »armen Leuten« die Rede ist, schwingt schnell ein Klang von Bedauern und Mitleid in den Worten mit. Doch wenn der Sozialwissenschaftler und Erwerbslosenaktivist Harald Rein seinem neuesten Buch den Titel »Wenn arme Leute sich nicht mehr fügen« gibt, knüpft er damit an die Debatte über eine selbstbewusste politische Bewegung an. Er meint Aktivisten, die weitgehend außerhalb der Lohnarbeitsprozesse stehen.
In einem zentralen Kapitel setzt sich Rein kritisch mit der - auch von manchen von linken - Wissenschaftlern vertretenen Meinung auseinander, dass arme Leute nicht in der Lage wären, sich politisch zu artikulieren. Der Autor beschäftigt sich speziell mit der »Marienthal-Studie« von Anfang der 1930er Jahre, auf die sich viele dieser Intellektuellen in ihrer Argumentation berufen.
Marienthal war ein österreichisches Dorf, in dem nach der Schließung einer großen Textilfabrik ein Großteil der Bewohner erwerbslos wurde. Der Jobverlust führte laut der Studie bei einem Großteil der Bewohner zu Resignation und Apathie. Ein Ergebnis, das Rein auch nicht bestreitet. Er kritisiert allerdings, dass die Befunde unzulässig verallgemeinert worden seien.
Vor allen in Großstädten und bei jüngeren Menschen hätte Erwerbslosigkeit laut dem Sozialwissenschaftler auch zu Lebensperspektiven jenseits der Lohnarbeit geführt. Kenntnisreich beschreibt Rein etwa, wie sich Erwerbslose nach der Novemberrevolution von 1918 in eigenen Räten organisiert und von den Gewerkschaften selbstbewusst Unterstützung eingefordert hatten. Rein zeigt zeitgleich aber auch auf, wie die Spitzen der Gewerkschaften und SPD schon früh auf Distanz zu Erwerbslosenorganisationen gegangen sind, weil diese ihre Autonomie nicht aufgeben wollten.
Der Aktivist geht ebenfalls auf die Erwerbslosenpolitik der KPD und ihr nahestehender Organisationen in der Weimarer Republik ein. Er lehnt die häufig von Historikern bemühte These ab, dass die KPD die Erwerbslosen nur für ihre politischen Zwecke instrumentalisiert habe. Rein zeigt an Hand von Dokumenten viel mehr auf, dass kommunistische Kommunalpolitiker sehr konkrete Maßnahmen für Erwerbslose erkämpft hatten.
Der Sozialwissenschaftler widmet sich in seinem Buch detailliert der libertären Strömung der Erwerbslosenbewegung, auf die sich die autonome Erwerbslosenbewegung der 1980er Jahre berief. Im Unterschied zu den gewerkschaftsnahen Strömungen sehen diese nicht die fehlende Erwerbsarbeit, sondern das fehlende finanzielle Einkommen als Hauptproblem.
In einem Überblick listet Rein auch die unterschiedlichen Themenfelder der jüngeren Erwerbslosenbewegung auf, die 2004 im Kampf gegen die Agenda 2010 für einige Wochen sogar noch einmal zu einer Massenbewegung angeschwollen war.
Letztlich richtet der Autor den Blick auf den aktuellen Alltagswiderstand von Erwerbslosen, der sich rund um die Jobcenter abspielt. Dieser könne kurzeitige »Hausbesuche« wie auch die Begleitung von Betroffenen umfassen. Es wäre zu hoffen, dass sich manche durch die Lektüre des Buches ermutigt fühlen, solche Schritte der Selbstermächtigung zu unterstützen.
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