Ärzteverband will Notaufnahmen schließen

Die Notfallbehandlung in kleinen Krankenhäusern ist laut Studie unterdurchschnittlich / Forderung nach Großkliniken

  • Florian Haenes
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer im Wartesaal einer Notaufnahme auf seine Behandlung wartet, ärgert sich mitunter. Das »Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung« legt jetzt eine Studie vor, mit der sich Patienten auf den ersten Blick trösten können: In viel frequentierten Notaufnahmen ist das Sterberisiko signifikant niedriger als in Krankenhäusern mit niedriger Fallzahl. »Wenn es um Leben und Tod geht, ist die Versorgung in den großen Notaufnahmen erheblich besser«, sagt Institutsgeschäftsführer Dominik von Stillfried. Grund seien die Ausstattung der Kliniken und die Routine der Ärzte. Das Institut, das der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) angehört, fordert daher, die Notaufnahmen in Großkliniken zu konzentrieren und plädiert für einen Radikalumbau der Notfallbehandlung.

Damit liefert die KBV weitere Argumente für die Schließung von Krankenhäusern. In Deutschland gibt es rund 2000 Krankenhäuser. Im internationalen Vergleich ist diese Zahl sehr hoch. Dass deshalb Reformbedarf besteht, ist allerdings strittig. Bislang scheut die Bundesregierung eine Veränderung, der ein Großteil der Krankenhäuser zum Opfer fallen würde. Dänemark hat das jedoch vorgemacht. Es betrieb vor 20 Jahren 90 Hospitäler. Heute sind es nur noch 32. Die Wissenschaftsakademie »Leopoldina« rechnete zuletzt vor, dass Deutschland bei einer ähnlichen Reform 80 Prozent seiner Krankenhäuser schließen müsste. Im Fall der Notaufnahmen regt die KBV an, dass sich ein Teil der Patienten, die derzeit Krankenhäuser aufsuchen, sich zukünftig in Bereitschaftspraxen von niedergelassenen Ärzten behandeln lässt. Die Ärztevereinigung hofft, dass die Praxen von einem solchen Umbau des Krankenhaussystems in Milliardenhöhe profitieren würden. Der Vorschlag beinhaltet, dass vermehrt »Portalpraxen« Notaufnahmen ersetzen und nur Patienten mit potenziell lebensgefährlichen Beschwerden an ein Krankenhaus verwiesen werden.

Genau das will die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) aber verhindern. Denn für Krankenhäuser sind Notaufnahmen nicht nur lukrativ, sondern erhöhen auch die Fallzahl des Hauses. Und die ist wegen des 2004 eingeführten DRG-Systems, das ineffiziente Hospitäler aussieben soll, überlebenswichtig. Immer mehr Krankenhäuser mit geringen Fallzahlen werden heute schon geschlossen. Die DKG beharrt deshalb auf Notaufnahmen in kleinen Krankenhäusern und widerspricht der Studie. Zum einen sei nur ein Bruchteil der Patienten von dem erhöhten Sterberisiko betroffen. Zudem sei es fahrlässig, wenn man gefährdete Patienten zuerst Arztpraxen aufsuchen lässt, bevor man sie an ein Krankenhaus weiterleitet. Das Argument, eine geringe Fallzahl gefährde Patienten, spricht aus Sicht der DKG nicht gegen kleine Krankenhäuser, sondern gegen die von der KBV befürworteten Notfallpraxen.

Auf den Patienten mag es befremdlich wirken, wenn niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser sich vorgeblich um dessen Wohl streiten, sich dahinter jedoch monetäre Interessen verbergen. Allerdings plädiert selbst die renommierte Leopoldina-Akademie dafür, die Zahl der Krankenhäuser stark zu senken. Obwohl Deutschland elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Gesundheit aufwendet (der OECD-Schnitt liegt nur bei neun Prozent) erzielen Schweden und Dänemark weitaus bessere Ergebnisse bei der Behandlung von Patienten. Die Leopoldina führt das - genauso wie die Kassenärzte - auf mangelnde Spezialisierung der Ärzte in kleinen Krankenhäusern zurück. »Qualifiziertes medizinisches Personal ist derzeit im Grunde ausreichend vorhanden, aber auf zu viele Häuser verteilt«, wird in einer Studie geurteilt. Beispielsweise kommt es in kleinen Krankenhäusern bisweilen vor, dass ein Arzt am Nachmittag einen Kaiserschnitt vornimmt, weil sich während der Nachtschicht nur ein Arzt auf der Station befinden wird - der Dienstplan bestimmt also die Indikation. Ein exemplarischer Missstand, den die Studienautoren - darunter Ärzte, Medizinhistoriker und Ökonomen - durch Großkrankenhäuser beheben wollen.

Die Kassenärzte wollen zunächst Notaufnahmen in Ballungsgebieten schließen. Anders als auf dem Land führten Schließungen in Großstädten nicht zu längeren Anfahrtswegen. Auch verlängere sich mit Aufwertung der verbliebenen Standorte die Wartezeit nicht. In Berlin könnten demnach 17 von 44 Notaufnahmen den Großkliniken weichen.

Einen Nachteil hätte die Zusammenlegung allerdings - und das auch in Großstädten: Die Freiheit von Patienten, sich ein Krankenhaus auszusuchen, leidet unter der Zusammenlegung von Notaufnahmen. Ein statistisch erhöhtes Sterberisiko im Promillebereich bedrückt Patienten meist wenig. Ein gefühltes Unbehagen gegenüber einer Klinik hingegen sehr.

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