»Mehr als schöne Worte«

Thüringen will Angehörigen der NSU-Opfer 1,5 Millionen Euro zahlen und Denkmal errichten / Schwierige Aufarbeitung in anderen Ländern

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Thüringer Regierungsfraktionen von LINKE, SPD und Grünen wollen den Hinterbliebenen der NSU-Opfer 1,5 Millionen Euro zahlen. Der Betrag solle in einen Entschädigungsfonds fließen, hieß es am Mittwoch übereinstimmend aus allen drei Fraktionen. »Diese Entschädigung ist keine Wiedergutmachung, sondern ein klares Zeichen an die Angehörigen, dass es mehr als schöne Worte gibt«, sagte Katharina König-Preuss, Obfrau der Linkspartei im NSU-Untersuchungsausschuss, gegenüber »nd«.

Vor allem solle mit der Zahlung auch die institutionelle Mitverantwortung an der Mordserie anerkannt werden. »Bei den Behörden haben mindestens Fehler bis hin zu systematischen Sabotageversuchen stattgefunden - hier müssen Parteien bekennen, auf welcher Seite sie stehen.« Die oppositionellen Landtagsfraktionen von CDU und AfD hatten einen Entschädigungsfonds abgelehnt. Die Bundesregierung zahlte 2012 rund 900 000 Euro an die Angehörigen. Carolin Keller von der zivilgesellschaftlichen Initiative NSU-Watch unterstützt das neue Vorhaben aus Erfurt, warnt jedoch gleichzeitig gegenüber »nd«: »Zahlungen können weder eine vollständige Aufklärung im NSU-Komplex noch das weitere Eingehen auf Forderungen der Angehörigen und Betroffenen ersetzen.«

Die thüringische rot-rot-grüne Koalition einigte sich auch darauf, 350 000 Euro für ein Mahnmal zur Erinnerung an die NSU-Opfer bereitzustellen. Dies solle gemeinsam mit den Angehörigen konzipiert werden.

Bereits in seinen zwei seit 2012 aktiven NSU-Untersuchungsausschüssen hatte Thüringen eine vergleichsweise umfassende und selbstkritische Aufarbeitung vorangetrieben. In dem ersten Abschlussbericht sprachen die Abgeordneten etwa von dem »Verdacht gezielter Sabotage oder des bewussten Hintertreibens des Auffindens der Flüchtigen«; die polizeilichen Ermittlungen wurden als »Fiasko« und »Desaster« bewertet. »Entscheidend war, dass man sich noch 2011 fraktionsübergreifend für einen Untersuchungsausschuss entschieden hat - dieser war dann nicht von parteipolitischen Spielchen geprägt, sondern von einem ernsthaften Willen zur Aufklärung«, resümierte König-Preuss. Die Behörden stellten den Abgeordneten in der Folge die Akten ungeschwärzt zur Verfügung.

Im Rest Deutschlands verläuft die Aufarbeitung unter wesentlich schwierigeren Bedingungen. Zwar gab und gibt es Untersuchungsausschüsse neben dem Bund und Thüringen auch in Hessen, Sachsen, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Baden-Württemberg, doch der Erkenntnisgewinn variiert. Laut König-Preuss werde in Hessen beispielsweise »trotz fehlender Akteneinsicht eine wahnsinnig gute Leistung« erbracht. »In Sachsen gibt es wiederum enorme Schwierigkeiten, da sich scheinbar außer der Linkspartei niemand an der Aufklärung beteiligen will.« Generell stelle der vermeintlich notwendige Quellenschutz eine große Barriere dar. »In den anderen Bundesländern wurden die Interessen der Sicherheitsbehörden vor die Interessen der Aufklärung gestellt.«

Die Initiative NSU-Watch stimmt dieser Einschätzung zu: »Vor den Untersuchungsausschüssen mauerten Vertreter der Behörden massiv als Zeugen, aber auch was die Freigabe von Akten angeht«, erklärte Keller. Auch seien die Ausschüsse »immer wieder« von parteipolitischen Auseinandersetzungen gebremst worden; nichtsdestotrotz würden sie ein »unverzichtbares Instrument« in der Aufklärung des NSU-Komplexes bleiben. Ihr Zwischenfazit: »Durchwachsen«.

Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der LINKEN und ehemalige stellvertretende Vorsitzende im thüringischen Untersuchungsausschuss, wies gegenüber »nd« auf Lücken in der Aufarbeitung hin. »Die Frage, wie umfassend die Mitverantwortung von Seiten der Geheimdienste ist, können wir immer noch nicht abschließend bewerten.« Das liege aber nicht an mangelndem Aufklärungswillen der Abgeordneten, sondern an den Vertuschungsmanövern der Geheimdienste. »Diese Blockade wird täglich umfassender«, kritisierte Renner. Durch die Untersuchungsausschüsse habe man aber zumindest das breit gefächerte Unterstützungsnetzwerk des NSU-Trios erforschen können. »Es wäre Aufgabe des Generalbundesanwalts, hier endlich weitere Anklagen zu erheben.«

Laut der Linkspartei-Abgeordneten müsse nun auch der Bund »deutlich mehr Mittel zur Verfügung stellen«, um die psychischen und wirtschaftlichen Folgen zu lindern, die die betroffenen Familien erlitten haben. »Das Bundesamt für Verfassungsschutz trägt einen erheblichen Teil der Mitverantwortung.«

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