Koalitionskröten

Auf mögliche Groko-Verhandler warten einige schwierige Kompromisse

  • Lesedauer: 7 Min.

Ob und wann die Sozialdemokraten bereit sind, mit der Union über eine Große Koalition zu verhandeln, steht derzeit noch in den Sternen. Dass es dann im Fall der Fälle mit der Bildung einer neuen Regierung zügig vorangehen würde ebenso. Zwar zwar scheint das Konfliktpotenzial bei den aktuell geschäftsführenden Regierungspartnern geringer als bei Jamaika. Doch neben atmosphärischen Spannungen warten auf die möglichen Koalitionsfortsetzer auch einige harte Kompromissbrocken. Eine Übersicht über Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Feierabend später

Einig sind sich CDU und SPD, dass Arbeitszeiten flexibler gestaltet werden sollen. Während die SPD auf familienfreundlichere Bürozeiten drängt, will die Union den Acht-Stundentag auflösen und eine Wochenarbeitszeit einführen - eine seit langer Zeit von Arbeitgebern vorgebrachte Forderung. Wer in Zukunft über den Feierabend entscheidet, bleibt somit unklar.

Für Eltern, die in Teilzeit arbeiten, will die SPD ein Rückkehrrecht in Vollzeit schaffen. In der vergangenen Regierungszeit war die SPD mit diesem Vorhaben gescheitert. Die SPD peilt ein Rückkehrrecht in Betrieben ab 15 Mitarbeitern an, die Union beharrt auf einer Grenze von 200 Beschäftigten. Zuletzt nannten SPD-Politiker das Rückkehrrecht als eine Koalitionsbedingung.

Auch könnte die SPD ein Projekt in Verhandlungen einbringen, mit dem sie in den Wahlkampf gestartet war, nämlich das Arbeitslosengeld Q. In Verbindung mit Qualifizierungsmaßnahmen plant sie, dass das Arbeitslosengeld I zukünftig bis zu 48 Monate lang ausgezahlt wird. Auf Seiten der CDU gibt es heftigen Widerstand, weil Arbeitgeber befürchten, dass sich Beschäftigte früher in die Rente verabschieden könnten. Die CDU fordert dagegen mehr berufsbegleitende Fortbildungen in Betrieben. flh

Mauern hoch

Die Union fordert eine Obergrenze bei der Aufnahme von Geflüchteten, die aber nicht so genannt werden soll. Stattdessen haben sich CDU und CSU auf einen »Richtwert« geeinigt. Die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen soll demnach die Zahl von 200 000 Menschen im Jahr nicht übersteigen. Fraglich ist, ob die SPD sich darauf einlässt. Auch die Sozialdemokraten wollen den Zuzug von Schutzsuchenden begrenzen. Sie sagen es aber nicht so offensiv wie die Konservativen.

Eine Obergrenze lehnt die SPD offiziell ab. Der einzige Grund hierfür ist nach Ansicht des Parteivorsitzenden Martin Schulz, dass dann unklar sei, was man mit dem ersten Asylbewerber mache, der an die Grenze kommt und für den kein Kontingent mehr zur Verfügung steht. Diesen Fall hat die Union mittlerweile bedacht. Sie nennt die Zahl 200 000 als Ziel, das »angepasst« werden könne. Der von ihr formulierte Satz, dass das Grundrecht auf Asyl nicht angetastet werde, ist allerdings nicht ernst zu nehmen. Denn in den von der Union geplanten Abschiebezentren wird keine gründliche Prüfung der Fluchtgründe möglich sein.

Den Familiennachzug hatten Union und SPD gemeinsam für Geflüchtete mit eingeschränktem Schutzstatus ausgesetzt. Die Konservativen wollen diese Regelung nun verlängern. Bei den Sozialdemokraten ist das Thema umstritten.

Zu Beginn der Legislaturperiode hat die SPD einen Entwurf für ein Einwanderungsgesetz in den Bundestag eingebracht. Damit wollen sie die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte regeln. Die Union hatte eine solche Regelung bisher abgelehnt. Allerdings hatte sie sich zuletzt in den Sondierungen mit FDP und Grünen bei diesem Thema gesprächsbereit gezeigt. avr

Rentenalter rauf

Obwohl die CDU in ihrem Wahlprogramm einen Lobpreis über die Rentenpolitik der Merkel-Jahre anstimmte, herrscht doch Einigkeit mit der SPD, dass dringend etwas gegen Altersarmut unternommen werden muss. Die SPD schlägt eine Solidarrente für Beschäftigte vor, die mindestes 35 Jahre lang Beiträge gezahlt haben. Diese Rente soll zehn Prozent über dem durchschnittlichen Grundsicherungsanspruch am Wohnort liegen und würde vor allem früheren Beschäftigten des Niedriglohnsektors zu Gute kommen.

Der thüringische CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring stellt der SPD vergangene Woche eine umfassende Rentenreform in Aussicht. Eigentlich bevorzugt die CDU die Einsetzung einer Expertenkommission, die langfristige Reformen diskutiert. Die Solidarrente hält Mohring jedoch schon für die kommende Legislatur für möglich.

Im Gegenzug müsste die SPD aber Zugeständnisse bei der Rente mit 70 machen. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters schließen die Sozialdemokraten bislang aus. Sie bekunden aber, die Flexibilisierung des Renteneintritts weiter vorantreiben zu wollen. Auch wenn Kanzlerin Merkel im Wahlkampf versicherte, die Rente mit 70 sei kein Thema, befürworten weite Teile ihrer Partei den Vorschlag. flh

Feuer frei

Wenn es nach Union und SPD geht, wird die Bundeswehr auch weiterhin in Afrika, Asien und auf dem Mittelmeer präsent sein. Grundsätzlich einig ist man sich auch darüber, dass die Truppe weiter aufgerüstet werden soll. Die Anschaffung bewaffnungsfähiger Drohnen war der SPD indes zu heikel. An ihr scheiterte im Sommer der Kampfdrohnendeal von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Völkerrechtswidrige Tötungen durch unbemannte militärische Systeme lehnt die SPD kategorisch ab. Das Drohnengeschäft mit Airbus steht der Bundeswehr weiter offen. Der Bundestag muss dem zustimmen.

Interessant wird, ob sich die Parteien in der Europapolitik einigen könnten. Die Sozialdemokraten haben bereits angekündigt, ernsthaft über die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron diskutieren zu wollen. Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz hat etwa Sympathien dafür, einen Finanzminister der Eurostaaten einzusetzen und für diesen ein Euro-Budget einzurichten. Kanzlerin Angela Merkel hatte sich bisher zurückhaltend zu den Vorschlägen aus Paris geäußert. Die CDU-Vorsitzende ist zumindest angetan von den Vorhaben, wonach die EU stärker in den Bereichen Militär und Migration kooperieren soll. avr

Kamera läuft

Bei kaum einem anderen Thema sind sich Union und SPD so nahe wie in der Innenpolitik. Die Parteien sind sich einig, dass mehr Überwachungskameras aufgestellt werden sollten. Außerdem wollen sie mehr Polizisten einstellen. Dafür sollen 15 000 zusätzliche Stellen in Bund und Ländern geschaffen werden.

In der vergangenen Legislatur hat die Große Koalition eine Reihe von Strafrechtsverschärfungen und Überwachungsmaßnahmen beschlossen. Genannt seien hier nur die Vorratsdatenspeicherung und ein Gesetz, wonach unter anderem ein Schubser gegen einen Polizisten drastisch sanktioniert werden kann.

Fortsetzungen in dieser Legislatur sind durchaus denkbar. Die Union hat in ihrem Programm angekündigt, bei der Terrorismus- und Verbrechensbekämpfung »noch besser zu werden als bisher«. Gefordert wird unter anderem der Einsatz der Bundeswehr im Inland »in besonderen Gefährdungslagen unter Führung der Polizei«. Im Juli 2016 hatten sich Union und SPD in ihrem Weißbuch zur Sicherheitspolitik auf den Kompromiss verständigt, dass die Bundeswehr bei größeren Anschlägen auch ohne Grundgesetzänderung eingesetzt werden kann. Möglich ist, dass die Trennung zwischen Polizei und Militär weiter aufgeweicht wird. avr

Steuern runter

Union und SPD wollen die Steuern für Besserverdienende senken. Details sind aber umstritten. CDU und CSU haben den Spitzensteuersatz von 42 Prozent im Visier. Dieser soll nach ihrer Vorstellung erst ab einem Jahreseinkommen von 60 000 Euro und nicht wie bisher ab rund 54 000 Euro greifen. Der Kinderfreibetrag (bisher 7356 Euro) soll in zwei Schritten bis zum Grundfreibetrag für Erwachsene (derzeit 8820 Euro) angehoben werden. Allerdings legt sich die Union bisher nicht auf ein genaues Zieldatum fest.

Die Sozialdemokraten wollen beim Solidaritätszuschlag ansetzen. Dieser soll schrittweise wegfallen. Zunächst würden kleine und mittlere Einkommen ihn nicht mehr zahlen müssen. Für Geringverdiener würde sich dadurch allerdings kaum etwas ändern. Sie zahlen ohnehin nur wenig oder gar keinen Soli.

Um diese Steuergeschenke zu finanzieren, plant die SPD zugleich Steuererhöhungen für Spitzenverdiener. Der Grenzwert für den Spitzensteuersatz soll auf 76 000 Euro angehoben und der Spitzensatz selber auf 45 Prozent erhöht werden.

CDU und CSU wollen den Solidaritätszuschlag ebenfalls abschaffen, halten aber grundsätzlich nichts davon, Steuern für Besserverdienden zu erhöhen. Sie gehen davon aus, dass der Bund auch ohne Steuererhöhungen weiterhin keine neuen Schulden aufnehmen muss. Ihr Ziel ist weiterhin die sogenannte schwarze Null. Diese konnte bisher wegen der guten konjunkturellen Lage erreicht werden. Laut Steuerschätzern können die Kassen von Bund, Ländern und Kommunen bis zum Jahr 2021 mit 54,1 Milliarden Euro zusätzlich rechnen. Allein in diesem Jahr sollen bis zu acht Milliarden Euro extra an den Staat fließen. avr

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