Das Schweigen brechen

«Oliven und Asche» - Schriftsteller berichten von der israelischen Besetzung Palästinas

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 4 Min.

Besetzung bedeutet Schlange stehen. Schlange stehen bedeutet die Hölle. Die Hölle bedeutet Wiederholung: jeden Morgen stets das Gleiche. Warten und Hingehaltenwerden, Schmerz und Demütigung - all das ballt sich in den streng bewachten Menschenmengen an den Checkpoints rund um Jerusalem, wo verlorene Gesichter aufs Neue das Gesicht verlieren.«

Dieser »Prolog«, den der norwegische Lyriker und Romanautor Lars Saabye Christensen seinem Text in dieser Anthologie vorangestellt hat, »verdichtet« die verzweifelte und ausweglose Situation der Palästinenser in Israel seit dem Errichten der acht Meter hohen Betonmauer mit ihren zahlreichen streng bewachten Checkpoints, die Gaza, das Westjordanland und Ostjerusalem von Israel abtrennt, die Palästinensergebiete zu »Käfigen« macht und ihre Bevölkerung zu Opfern der Willkür meist blutjunger israelischer Soldaten und Polizisten.

Was Israel »Sicherheitszaun« nennt, heißt bei den anderen »Sperranlagen«. Demütigungen und Schmerz der Ausgegrenzten erlebten bei ihrer Israel-Reise alle Autoren, die im Buch zu Wort kommen. Als Sam Bahour, der nicht klein zu kriegende Unternehmer aus Gaza seinen Gast Michael Chabon in seinem »kleinen Käfig«, seinem »Königreich von Oliven und Asche« herumfährt, wird diesem bewusst: Täglich sind viereinhalb Millionen Menschen »mit der Absurdität des Lebens konfrontiert«.

Die Sperren, »Langzeitübungen in Willkürherrschaft«, sind sowohl real wie auch Metaphern. Davon kann auch der bekannte palästinensische Schriftsteller und Rechtsanwalt Raja Shehadeh ein Lied singen, wenn er von Sami, dem Taxifahrer, erzählt, einem wahren »Helden«, der ihn rechtzeitig von Ramallah zum Ben-Gurion-Flughafen fährt, das Auto durch Sperren, nur Israelis vorbehaltene Straßen und Checkpoints schleust und dabei den Angst schwitzenden Autor auch noch mit abenteuerlichen Taxi-Geschichten aufmuntert.

Hier ist schon deutlich geworden, um welch schwieriges und umstrittenes Thema es in dieser Anthologie geht (schwierig besonders für deutsche Leser nach dem Holocaust), die die beiden in Kalifornien lebenden Journalisten und Schriftsteller Ayelet Waldman und Michael Chabon zusammengestellt haben. Auf Einladung der israelischen Organisation »Breaking the Silence« (»Schweigen brechen«) sind 26 international bekannte Schriftsteller und Schriftstellerinnen nach Palästina gereist, um sich vor Ort ein Bild von der fünfzig Jahre andauernden israelischen Besatzungspolitik (einige Autoren vermeiden das Wort »Besatzung« und sprechen von »Besetzung«) in Gaza und im Westjordanland zu machen. Unter ihnen waren Arnon Grünberg, Colm Toibin, Colum McCann, Eva Menasse und die Herausgeber des Buches. Besonders unterstützt wurde das Projekt von Mario Vargas Llosa, der angesichts der Siedlungspolitik von »Belagerung« spricht. Die Berichte und Reportagen, stilistisch unterschiedlich, sind fast alle von hoher literarischer Qualität und geeignet, die gegenwärtige Situation mit anderen Augen als bisher zu sehen. Der Norweger Christensen bringt das Problem auf den Punkt: »Ich bin ein treuer Freund Israels«, was für ihn Anerkennung des Existenzrechtes Israels und Pflicht zur Selbstverteidigung bedeutet, jedoch nicht »das Recht, Menschen zu quälen«.

Erinnert sei hier an einige historische Fakten, die in den Texten nachlesbar sind: die Gründung des Staates Israel 1948 und die damit verbundene erste Vertreibung vieler Palästinenser aus ihren angestammten Gebieten und Orten, die Besetzung von Gaza und Westjordanland nach dem Sechstagekrieg 1967, unerfüllte Hoffnungen der Palästinenser auf einen eigenen Staat nach Oslo 1993 und - heute das größte Problem - die Bebauung der besetzen Gebiete durch fast 400 000 (oft ultraorthodoxe) Siedler, »die 2,9 Millionen Einwohner der palästinensischen Städte auf engstem Raum zusammengepfercht und voneinander isoliert haben« (unter Berufung auf ein altes osmanisches Recht).

Augenfällig ist der Kontrast zwischen den ziegelrot gedeckten Siedlungen und den geduckten alten Palästinenserdörfern - soweit sie noch nicht verfallen sind und die letzten Bewohner in Zelten vegetieren. Für sie gilt: Enge, Verlust ihrer Böden, Wasser­ und Strommangel. übereinstimmend sind auch die Berichte über den »Wahnsinn« in der einst blühenden Touristenstadt Hebron, die zur »Geisterstadt« geworden ist, wo die letzten Palästinenser »weggeschlossen hinter verlöteten Türen« und vergitterten Fenstern leben, beworfen mit dem Unrat aus den ständig wachsenden »illegalen jüdischen Siedlungen« über ihnen.

»Israel, um Himmels Willen Israel«, hat einst Ralph Giodano sein Buch genannt. Es gilt heute noch viel mehr. Trotzdem seien auch die vielen Stimmen der Aktivisten gegen das Unrecht genannt, allen voran »Breaking the Silence«, auch »Kämpfer für den Frieden«, »Hope for the Children in Palestine« usw. und vor allem die betagte Hanna Barg, die sich täglich protestierend an einen Checkpoint stellt. Vargas Llosa nennt diese Menschen »die Gerechten«. »Abend«, heißt es im letzten Text der Französin Maylis de Kerangal, »über Hebron geht die Sonne unter, ein goldenes Licht legt sich über die Olivenbäume ... die Landschaft wirkt so friedlich. Dass es einem das Herz zerreißt ...«

Ayelet Waldman und Michael Chabon (Hg.): Oliven und Asche. Schriftstellerinnen und Schriftsteller berichten über die israelische Besatzung in Palästina. Kiepenheuer & Witsch, 552 S., geb., 28 €.

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