• Politik
  • Sahra Wagenknecht und Katja Kipping

Linke fremdeln mit fernen Milieus

Streit in der Linkspartei zeigt alte Unvereinbarkeiten

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 5 Min.

In einem Aufruf an die LINKE vertritt die Parteivorsitzende Katja Kipping die Idee, das Interregnum der absehbaren Regierungsbildung von Union und SPD für eine Offensive zu nutzen. Hierfür will sie den Streit in ihrer Partei hinter sich lassen, es gelte sachlich zu debattieren statt die »Erzählung vom Machtkampf« in der Linkspartei zu bedienen. Die Partei müsse ihre »Konflikte bearbeiten« und das »Verbindende mehr in den Mittelpunkt stellen als das Trennende«. Kippings Einwurf muss freilich selbst als Positionierung in diesen Konflikten verstanden werden.

Die »Erzählung vom Machtkampf« war gerade in jüngster Zeit fortgeschrieben worden. Und ein Gespräch, zu dem am Wochenende der neue, kommissarische Bundesgeschäftsführer Harald Wolf die Parteivorsitzenden, Kipping und Bernd Riexinger, mit den Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Sahra Wagenknecht und Dietmar Barsch, geladen hatte, war als Versöhnungsversuch gedacht. Wolf selbst war für den im Streit geschiedenen Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn in seine neue Funktion berufen worden. Kipping bestätigt einen Richtungskampf, will diesen aber nun sachlich führen. Schon immer wird dieser mehr oder weniger unversöhnlich ausgetragen, nach Jahren der relativen Ruhe – die sich die Parteivorsitzenden zu Recht zuschreiben – zeugen jüngere Ereignisse nun vom neuen Aufflammen.

Unmittelbar nach der Bundestagswahl hatte Sahra Wagenknecht mit Blick auf den AfD-Erfolg eine Debatte über Flüchtlingspolitik ausgelöst. Zu Unrecht seien im Wahlkampf »bestimmte Probleme ausgeklammert« worden, »in der Sorge, dass man damit Ressentiments schürt«. Ist die Formulierung im Parteiprogramm, dass das Recht auf Bewegungsfreiheit von Menschen das Prinzip offener Grenzen verlangt, eine Vision, wie Wagenknecht meint, also kein realpolitisches Ziel? Oder muss die LINKE dieses Prinzip hochhalten, unabhängig von der konkreten Situation, weil »die Grenze … nicht zwischen Nationen, sondern zwischen Klassen bzw. zwischen oben und unten« verläuft, wie Kipping in ihrem Papier schreibt?

Am Wochenende lag dem Parteivorstand der LINKEN auch der Entwurf eines Einwanderungsgesetzes zur Beratung vor, in dem das Prinzip der offenen Grenzen aus dem Parteiprogramm adaptiert wird auf alle Bereiche der Migration – Asyl wegen politischer Verfolgung, Schutz von Bürgerkriegsflüchtlingen sowie Einwanderung von Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen. In der Debatte über diesen Entwurf dürfte ein Teil der sachlichen Differenzen in der Partei wohl kulminieren. Kritikern von »links«, die in jedem Regularium eine Einschränkung der Freizügigkeit und daher einen Verstoß gegen das Parteiprogramm sehen, steht Wagenknecht gegenüber, die mit Blick auf den Entwurf fand, »Linke sollten sich bemühen, seriöse Vorschläge zu machen«. Einen Einwand gegen die Anwerbung ausländischer Fachkräfte (und damit indirekt auch gegen die Einladung mittels eines Einwanderungsgesetzes) legte jüngst die Hamburger Abgeordnete Zaklin Nastic in ihrer ersten Rede im Bundestag dar: »Wer Fachkräfte braucht, muss sie hierzulande ausbilden und vor allen Dingen gut bezahlen, und zwar egal, woher sie kommen.« Den armen Staaten dieser Welt ihr ausgebildetes Potenzial »auszusaugen«, sei Braindrain.

Mit dem Streit um Migration und Flüchtlinge ist in der LINKEN auch einer um die Milieus entbrannt, um die sich die Partei bemühen sollte. Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender im Saarland und Wagenknechts Ehemann, hatte der Führung vorgeworfen, sich vor allem für jene akademischen, urbanen Schichten zu interessieren, die auch den Großteil der Neuzugänge in der Mitgliedschaft der Partei ausmachen. Damit vernachlässige sie aber die eigene angestammte Basis – die Arbeiter und Erwerbslosen. Hier geht es um die sehr ernste Frage nach der sozialen Funktion der Partei.

Diese Frage kocht hoch, auch wenn man es gar nicht erwartet. In der Bundestagsfraktion ging es jüngst hoch her, als der Jahresauftakt der LINKEN aufgerufen war. Nach der Demo für Liebknecht und Luxemburg Mitte Januar in Berlin trifft man sich seit Jahren in großem Saal zu Musik, Reden und Talkrunden. Bisher vor allem von der Europäischen Linken finanziert und vom Bundestagsabgeordneten, Musikproduzenten und Liedermacher Diether Dehm organisiert, soll 2018 die Bundestagsfraktion das Ereignis bezahlen. Doch vielen Genossen behagt offenbar das dort versammelte Milieu nicht recht, in erregter Debatte wurde dies deutlich. Matthias Platzeck, einst Ministerpräsident und SPD-Chef und heute Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums, sagte seine Teilnahme inzwischen ab. Er sah sich in fremde Querelen hineingezogen und als Putin-Versteher bereits in einer Zeitung angegangen.

Der »Tagesspiegel« nutzte die offenbar willkommene Gelegenheit und zog überdies eine Parallele von Dehm zum Betreiber der Internet-Plattform KenFM, Ken Jebsen. Eine geplante Preisverleihung an Jebsen im Berliner Kino »Babylon« war nach einer Intervention des Berliner Kultursenators Klaus Lederer vom Kino jüngst abgesagt worden; neben anderen hatte Diether Dehm Jebsen gegen den Vorwurf verteidigt, rechter Verschwörungstheoretiker zu sein. Nicht nur zwischen Dehm und Lederer klaffen Welten.

Dehm bekennt, mit dem Jahresauftakt seit sechs Jahren eine »rot-traditionalistische Veranstaltung« im Sinn zu haben, er schwärmt von Arbeiterkampfliedern und hat nichts gegen gereckte Fäuste. Eine ihm vorgeworfene verfehlte Einladungspolitik weist er zurück. Wie in jedem Jahr seien Lafontaine und die Fraktionschefs Wagenknecht und Bartsch zunächst um Terminsicherung gebeten, Künstler wie der Liedermacher Gerhard Schöne, Nina Hagen und der französische Linkssozialist Jean-Luc Melanchon angefragt worden. Von den Parteivorsitzenden und Gregor Gysi seien Terminprobleme signalisiert worden. »Die offiziellen Einladungen zum Jahresauftakt werden aber sowieso vom Fraktionsvorstand geschrieben«, sagt Dehm.

Die Veranstaltung als Dienstleistung für Lafontaine und im Sinne einer »linken Sammlungsbewegung« zu planen, hält er für eine böswillige Erfindung. Auch wenn er Melenchons Sammlungsbewegung im Wahlkampf unterstützt hatte, habe das eine mit dem anderen nichts zu tun. Lafontaine hatte sich kürzlich in einem Interview eine solche Bewegung mit einer starken Persönlichkeit an der Spitze auch für Deutschland gewünscht. Dabei habe er alle im Sinn, denen es um soziale Gerechtigkeit geht, sagte er, ohne deutlicher zu werden. Und er ließ Bedauern anklingen, aus der SPD ausgetreten zu sein. Also auch, die LINKE mitgegründet zu haben? Kipping hält von einer neuen Sammlungsbewegung jedenfalls nichts. Sie bestehe bereits: Es sei die LINKE.

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