Die Qual der direkten Wahl

Linkspartei möchte die Volksgesetzgebung verbessern - wie sie es im Koalitionsvertrag versprochen hat

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 4 Min.

So hatte man sich das wohl nicht gedacht: Da steht die Linkspartei seit Jahren für eine Stärkung der direkten Demokratie auf Landesebene, und dann stimmt die Mehrheit der Wähler beim Volksentscheid um den Erhalt des Flughafens Tegel gegen den Willen der Partei. Also künftig doch nicht mehr so direkt nach dem Volkeswillen fragen? Oder braucht es lediglich Verbesserungen des Instruments? Ist die direkte Demokratie vielleicht eine Sache des Prinzips, auch wenn sie konträr zu eigenen Politik läuft? Über diese und viele andere Fragen diskutierten Anfang der Woche im Abgeordnetenhaus Politiker der Linkspartei mit Experten aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaftlern. Doch schon jetzt liegen Lösungsvorschläge in den Schubladen: Im Frühjahr 2018 möchte der Senat einen Gesetzesentwurf zum Thema vorlegen.

»Die Politik kann noch schlauer werden«, sagt die Fraktionschefin der LINKEN, Carola Bluhm. Die direkte Demokratie in Form von Volksentscheiden sei ein Instrument, das weiterentwickelt werden müsse. Genau das habe die Linkspartei den Wählern versprochen, als sie im Wahlkampf »… und die Stadt gehört Euch!« plakatiert habe.

Auch der demokratiepolitische Sprecher der Fraktion, Michael Efler, hält an der Position seiner Partei fest: »Direkte Demokratie hat diese Stadt belebt.« Der Volksentscheid sei wichtig, damit die Politik des Senats nicht auf einer »Blankoscheck-Ideologie« gebaut sei. Doch auch er sieht Probleme, die das Instrument in seiner Funktion einschränken. Im Land Berlin habe der Volksentscheid zwar schon fast Tradition. Doch auch diese Tradition sei erst durch Verbesserungen effektiv geworden: Durch ein Verfassungsreferendum im Jahr 2006 und eine zugehörige Verfassungsreform Anfang 2008, die maßgeblich die Volksgesetzgebung erleichterte. Erst seitdem wurden wirklich Volksbegehren durchgeführt. Die zuvor möglichen Volksinitiativen waren meist an der hohen Zahl der benötigten Unterschriften gescheitert. So wurde beispielsweise der Antrag der Volksinitiative gegen den Bau der Transrapid-Strecke 1998 mit rund 120 000 Unterschriften abgelehnt.

Seit der Reform wurden die Bürger insgesamt sechsmal zum Volksentscheid aufgerufen. Drei der zur Abstimmung gestellten Anliegen wurden angenommen - meist mit nur einer knappen Zustimmung.

An diesem Punkt wird laut Linkspartei auch das erste Problem sichtbar. Denn momentan muss das Abgeordnetenhaus die Abstimmung nicht mit der nächsten Wahl zusammenlegen. Doch wenn dies nicht geschieht, fällt die Wahlbeteiligung geringer aus. Dies soll sich nun ändern: Im Koalitionsvertrag des rot-rot-grünen Senats wurde festgehalten, dass »ein Volksentscheid zeitgleich mit Wahlen durchgeführt wird«, wenn in den ersten acht Monaten nach dem Volksbegehren eine ansteht.

Zu befürchten wäre dabei allein, dass der Volksentscheid aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Wahlkampf zu einem parteipolitischen Mittel des Wahlkampfes verkommt. Diese Kritik formulierte der geladene Politikwissenschaftler Benedict Ugarte Chacón. Im Fall Tegel wurde ihm zufolge die direkte Demokratie missbraucht. »Man hat dafür gesorgt, dass damit Parteipolitik gemacht wurde«, kritisierte er. Konkret habe sich hier die FDP, auch personell, auf das Projekt gesetzt und so Stimmen abgegriffen. Die langfristige Ausrichtung von Parteien widerspreche jedoch grundsätzlich den kurzfristigen Kampagnen der direkten Demokratie. Lösungsvorschläge hierzu seien allerdings umstritten und momentan in der Koalition nicht durchführbar, hieß es.

Neben der personellen Überschneidung war allerdings auch die finanzielle Unterstützung durch die Partei, sowie Ryanair, Teil der Kritik. Hier ist es erst nach mehrmaligen Aufforderungen zu einer Offenlegung der Spendengelder gekommen. Erst kurz vor der Abstimmung kam heraus, dass die Initiative mehrere zehntausend Euro von der Airline angenommen hatte. Regine Laroche, Sprecherin des Vereins Mehr Demokratie, sieht das kritisch: »Die Chancengleichheit muss gewahrt bleiben.« Auch wenn ein großer Geldbeutel nicht die Garantie sei für einen Erfolg von Volksentscheiden, so brauche es eine unabhängige Meinungsbildung. Dazu seine eine klare Transparenzregelung nötig. Dies gilt für beide Seiten, denn auch der Senat hat im Zuge der Abstimmung einen Brief an ausgewählte Bürger geschickt - Kosten: 430 000 Euro.

Ein Schritt in die richtige Richtung sei, sagt Laroche, neben der Offenlegung der Finanzen, die Einführung einer Kostenerstattung für die Initiativen. Dies würde zu einer Unabhängigkeit führen.

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