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Eine kosmopolitische Vorstellung von der Zukunft
Zygmunt Bauman fordert eine utopische Aneignung der Welt ein
Im Januar 2017 starb im Alter von 91 Jahren der Soziologe Zygmunt Bauman, der sich in seinem Werk intensiv mit den veränderten Lebensumständen in einer globalisierten und immer schneller werdenden Informationsgesellschaft beschäftigt hatte. Nun erscheint mit »Retrotopia« posthum das letzte Werk, an dem er bis kurz vor seinem Tod gearbeitet hatte und in dem er sich auf soziologischer und philosophischer Ebene der ideologischen Rückwärtsgewandtheit annähert, die er für unsere Gegenwart konstatiert und die vor allem der Neuen Rechten in die Hände spielt.
500 Jahre nachdem Thomas Morus seinen Roman »Utopia« veröffentlich hat, gibt es laut Bauman heute kaum mehr positive Utopien, die in eine bessere Zukunft weisen. Stattdessen wird im Zuge einer rückwärtsgewandten Erinnerungskultur die Vergangenheit verklärt. Genau hier setzen die Heilsversprecher à la Trump, Le Pen und Gauland an. »Einmal der Macht beraubt, die Zukunft zu gestalten, wird Politik in die Sphäre kollektiver Erinnerung verlagert - wo sie der Steuerung und Manipulation weitaus zugänglicher ist und deshalb eine beglückende Omnipotenz verheißt.« Retrotopie nennt das Bauman, in der eine verklärte Vergangenheit zum positiven Bezugspunkt wird.
Ob die Vergangenheit wirklich so rosig war, wie sie von einigen Politikern beschrieben wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. In einer globalisierten Welt, in der viele Menschen zum einen Angst um den Verlust ihrer Identität haben und sich zum anderen ökonomisch im Zuge einer weitgehenden Prekarisierung immer mehr bedroht fühlen, versprechen die rückwärtsgewandten Ideologen laut Bauman plötzlich, die Freiheit mit der Sicherheit verschweißen zu können. »Ein unmöglicher Kunstgriff«, wie er meint. Letztlich führe das zu einem Tribalismus, der Menschen eine Zugehörigkeit vorgaukle oder die Sehnsucht nach dem Mutterleib als dem beschützten Ort fördere, in dem der vereinsamte, isolierte Mensch sicher aufgehoben sei. Aber diese Denkfiguren tauchen nicht nur in politischen Debatten, sondern auch in der neoliberalen Ratgeberliteratur immer wieder auf, stellt Bauman fest. Es ist also nicht nur die Neue Rechte, die solche Ideen bemüht, auch wenn sie aktuell politisch daraus Kapital schlägt, sondern sie sind fester Bestandteil unserer sozialen, kulturellen und politischen Diskurse. Emanzipatorisch ist freilich keine dieser Ideen.
Laut Bauman, der sich vergangenes Jahr mit dem Essay »Die Angst vor den anderen« für eine offene Migrationspolitik und gegen jegliche populistische Panikmache stark machte, brauchen wir heute vor allem den Dialog, um das kosmopolitische Bewusstsein zu entwickeln, ohne das wir nicht weiterexistieren können. »Weit geöffnete Türen und eine ständige Einladung zur Vereinigung« seien nötig, um eine Integration ohne vorherige Separation zu ermöglichen. Dazu muss aber eine Vorstellung der Zukunft bestehen können, die nicht nur von Angst geprägt ist. Wir bräuchten vielmehr Vertrauen in unsere kollektive Fähigkeit, mögliche Exzesse in der Zukunft zu verhindern, anstatt nur Szenarien zu beschwören, in denen wir allen Übeln schutzlos ausgeliefert sind. Sonst bleibt die Utopie auf der Strecke. Der Weg dorthin wird aber nicht einfach werden. »Wir müssen uns auf eine lange Zeit einstellen, in der es mehr Fragen als Antworten und mehr Probleme als Lösungen gibt und in der wir im Schatten schwankender Chancen von Sieg und Niederlage agieren müssen«, so Bauman. Falls das nicht gelingt, prophezeit er im Schlusssatz seines Buches, das eine utopische Aneignung der Welt einfordert, aber eine düstere Zukunft zeichnet: »Mehr als zu jeder anderen Zeit stehen wir, die menschlichen Bewohner des Planeten Erde, vor einem Entweder-Oder: Entweder wir reichen einander die Hände - oder wir schaufeln einander Gräber.«
Zygmunt Bauman: »Retrotopia«. Suhrkamp, 220 S., br., 16 €.
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