Der bayerische Sonderweg

Das süddeutsche Land setzt auf eine staatsfinanzierte »Vereinigung der Pflegenden«

  • Dirk Baas, München
  • Lesedauer: 3 Min.

Unter dem optimistischen Motto »Das neue Wir!« hat sich Ende September die Gründungskonferenz der Bundespflegekammer in Berlin konstituiert. Die Befürworter dieses Zusammenschlusses aller Berufspflegekräfte wollen ein Schwergewicht der Interessenvertretung etablieren, das der Pflege zu erkennbar mehr Einfluss auf die Politik verhilft. Doch so weit ist es längst noch nicht.

Von einer bundesweiten Repräsentanz ist man noch weit entfernt - auch weil die Länder ihre föderalen Eigenarten pflegen. Allen voran Bayern: Dort gibt es statt einer Kammer die von der Staatsregierung allein finanzierte »Vereinigung der Pflegenden«. Doch auch die erfreut sich keineswegs uneingeschränkter Unterstützung.

An euphorischen Worten fehlte es in Berlin nicht: Man habe »einen berufspolitischen Meilenstein für die Selbstverwaltung der Pflege« gesetzt, sagte Andreas Westerfellhaus, der einstige Präsident des Deutschen Pflegerats: Damit werde eine einheitliche Selbstverwaltung aller professionellen Pflegeberufe auf Bundesebene möglich: »Das ist insbesondere auch ein Signal an die Bundespolitik für die neue Legislaturperiode.«

Die Überzeugung, dass es berufsständische Vertretungen mit Pflichtmitgliedschaft überhaupt braucht, ist jedoch bisher nicht allzu ausgeprägt. Eine arbeitsfähige Landespflegekammer existiert seit 2016 bisher nur in Rheinland-Pfalz, unterschiedlich weit fortgeschrittene Initiativen zu Gründungen gibt es in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.

Die Kammern wollen zentraler Ansprechpartner der Politik und damit Ansprechpartner des Gesetzgebers werden. Ziel ist es auch, die Berufsbilder in der Pflege weiterzuentwickeln, die Qualität der Berufsausübung zu sichern und das Image der Pflege aufzupolieren.

Für die Umsetzung dieser berechtigten Anliegen sind aber aus Sicht der Gewerkschaft ver.di Kammern eigentlich überflüssig. »Es gibt nichts, was den Pflegenden nutzt«, lautet das Fazit einer internen Analyse. Doch trotz aller kritischen Distanz: Die Gewerkschaft wirkt in Rheinland-Pfalz seit dem Start der Pflegekammer aktiv mit. Und das hat seinen Grund. »Es gibt auch Mitglieder, die sich einen positiven Effekt von der Kammer erhoffen«, sagt Karola Fuchs, im Hauptberuf Leiterin einer Intensivstation in Idar-Oberstein und Vertreterin von ver.di im Gründungsausschuss der Kammer. »Natürlich wollen die Kollegen, dass ihre Gewerkschaft mit Verantwortung übernimmt. Das tun wir«, merkt Fuchs an. Es sei richtig gewesen, dass sich ver.di an der Gründung der Kammer beteiligt habe. »Wir sind Experten in Sachen Berufspolitik. Und wir wissen, wo Pflegekräften der Schuh drückt.«

Bayern geht einen Sonderweg. Am 24. Oktober hat sich der 25-köpfige Gründungsausschuss der »Vereinigung der Pflegenden« als öffentlich-rechtliche Körperschaft gebildet. Die Finanzierung übernimmt komplett der Staat. Sie soll die Berufsaufsicht gewährleisten und die Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte verbessern. »Wer sich engagiert um andere Menschen kümmert, muss selbst in der Gesellschaft Gehör finden«, sagt Landesgesundheitsministerin Melanie Huml von der CSU.

Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), ein erklärter Gegner der Kammern, hofft auf eine schlagkräftige Vertretung der 130 000 potenziellen Pflegekräfte im Freistaat. Doch wie viele freiwillig Mitglied werden, gilt noch als völlig offen.

Kai A. Kasri, der bpa-Landesvorsitzende, lobt den Personenkreis, »der mitgestalten und die Pflege voranbringen will«, darunter auch hier die Gewerkschaft ver.di. Doch viele Fachverbände, darunter der Berufsverband für Kinderkrankenpflege und der Bundesverband Pflegemanagement, lehnen die Mitarbeit rundweg ab. »Damit wird ein seltsames Verständnis von Selbstorganisation in der Pflege demonstriert«, moniert der bpa.

Auch der Deutsche Pflegerat lässt kein gutes Haar an der Vereinigung der Pflegenden. Präsident Franz Wagner spricht von einem Etikettenschwindel. Wegen der staatlichen Finanzierung fehle es dem Gremium an der »notwendigen Unabhängigkeit«. Zudem sei als Folge der freiwilligen Mitgliedschaft »nicht die ganze Berufsgruppe der Pflegepersonen repräsentiert«. Wagner ruft Bayern auf, den Sonderweg wieder zu verlassen. Das aber wird ganz sicher nicht geschehen. epd/nd

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