Bedürftigen drohen Mehrkosten

Tarifvereinbarung stellt Pflegekräfte besser - LINKE und SPD sehen Bund in der Pflicht

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Die LINKE im Landtag begrüße die Vereinbarung zwischen der Gewerkschaft ver.di und der Arbeiterwohlfahrt (AWO) als »Durchbruch«, sagte deren Fraktionschef Ralf Christoffers am Dienstag. Den Beschäftigten würden daraus beträchtliche Gehaltssteigerungen winken. Daraus wiederum würden sich bedeutende Kostensteigerungen für jeden Pflegefall ergeben. Wenn die zu pflegende Person über Mittel verfüge, müsse sie das bezahlen, wenn nicht, könne sie eine öffentliche Unterstützung beantragen.

Nach acht Jahren Verhandlungen stehen den Beschäftigten der AWO »bedeutende Einkommensverbesserungen« ins Haus, fuhr Christoffers fort. Die Landesregierung unterstütze seit 2014 das Bestreben, mit allen Pflege-Unternehmen einen einheitlichen Tarifvertrag abzuschließen. Dies sei bisher noch nicht gelungen, doch hoffe er, dass nun ein erster Schritt in diese Richtung getan worden sei. Christoffers räumte ein, dass dies eine stärkere finanzielle Belastung für Menschen bedeute, die Pflegeleistungen in Anspruch nehmen müssen. Er sprach von 500 Euro je Pflegefall. »Die Pflegeversicherung ist nicht in der Lage, die anfallenden Kosten vollständig zu übernehmen«, so Christoffers. Aus diesem Grunde gebe es die »Hilfen zur Pflege«, die zu 25 Prozent vom Land und zu 75 Prozent von der jeweiligen Kommunen getragen werden müssen. Er erwarte, dass sich hier der Bund verpflichtet fühlt.

Darauf hofft auch SPD-Fraktionschef Mike Bischoff. Auf die Frage, ob die zu pflegenden Menschen jetzt mehr bezahlen müssen, sagte er: »Das habe ich auch so verstanden«. Mit Blick darauf, dass den Rentnern in Brandenburg oft genug »nur ein schmaler Taler« bleibe, entstehe da ein »Dilemma«, daher erwäge seine Fraktion nach dem Jahreswechsel eine Bundesratsinitiative. »Wir brauchen mehr Geld in der Pflege«, so Bischoff. Vorbild seien da die Bundesbeiträge für die Rente und andere Leistungen. Es könne nicht länger angehen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so geringe Löhne verdienen. »Im Kern« aber lägen die Dinge heute so, dass dann die Heimbewohner beziehungsweise ihre Verwandtschaft zur Kasse gebeten würden. »Für die darf es nicht zu Kostensteigerungen von 500 Euro kommen.«

Nach der Rechtslage müssen Rentner, sollten die Kosten sie überfordern, »zuerst ihr Vermögen aufbrauchen«, auch ihre nächsten Verwandten werden dabei finanziell einbezogen. »Es ist normal, dass die Verwandten ihren Beitrag leisten«, sagte der SPD-Politiker. Seine Ehefrau leite in Schwedt eine Pflegeeinrichtung. Dort sei die faire Bezahlung der Beschäftigten »ein permanentes Thema«, aber so ein Pflegeplatz koste leicht 2000 bis 3000 Euro im Monat.

Weil heute 80 Prozent der Pflege im häuslichen, familiären Bereich geleistet werden, führt der »demografische Wandel«, die Überalterung der Gesellschaft, zu steigenden Anforderungen an die jüngere Generation. Gleichzeitig gibt es aufgrund des Geburtenrückgangs immer weniger jüngere Menschen, die das übernehmen könnten. Immer mehr jüngere Leute entziehen sich der für sie kaum noch zu bewältigen Lasten durch regelrechte Flucht in die Städte.

Im Frühjahr hatte der Landtag auf Antrag der LINKEN das Thema Pflege diskutiert und festgestellt, dass die auf diesem Gebiet herrschenden Zustände dringend verbessert werden müssten. Das Thema geriet kurzfristig auf die Tagesordnung, nachdem bekannt geworden war, dass Pflegedienstleister schon Neu-Klienten ablehnen, weil wie die personellen und materiellen Kapazitäten nicht mehr besitzen, um ihnen eine ordnungsgemäße Pflege anbieten zu können. Gesundheitsministerin Diana Golze (LINKE) unterstrich, Ziel müsse der Abschluss eines attraktiven und verbindlichen Tarifvertrags im Pflegebereich bleiben. Es sei, so Golze, die Schuld der Bundesregierung, dass die Pflegeversicherung eben keine volle finanzielle Absicherung im Pflegefall garantiere, sondern eine »Teilkasko-Versicherung« darstelle, die zur zusätzlichen privaten Vorsorge zwinge. Ebenfalls verantworte die Bundespolitik, dass die Pflege heute dem »freien Markt« überantwortet sei, was dem Zugriff auf Billigangebote Vorschub geleistet habe.

Vor einem Jahr hat der Gesetzgeber aus den früheren Pflegestufen die neuen Pflegegrade gemacht. Fachleute gehen davon aus, dass die Einführung des neuen Pflegegrades 1 dazu führen werde, dass binnen der kommenden drei Jahre deutschlandweit mit bis zu 500 000 Pflegebedürftigen mehr als bisher gerechnet werden muss, die dann Anspruch auf eine Basisversorgung haben werden.

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