Mr. Trump aus Würselen

Europa braucht nicht den zweiten Anlauf zu einer EU-Verfassung, sondern eine gemeinsame sozial- und arbeitspolitische Agenda. Schulz ignoriert das wie die Kanzlerin

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Martin Schulz ist kein Hundertprozentiger mehr. Jetzt, da er mitten in den Scherben seines Wahlkampfes steht, hält er sich aber immer noch hundertprozentig für eines: Für einen Europapolitiker aus echtem Schrot und Korn. Und so trat er als 81,9-prozentiger die Flucht nach vorne an und beantragte gewissermaßen thematisches Asyl in Europa. Und das während er sich mit jener Bundeskanzlerin bekatert, die er noch vor zwölf Wochen für unbedingt abkömmlich für Deutschland hielt. Mit der Macronaise am »Pulse of Europe«, dem Herauskehren als Retter Europas, ohne zu tief in ein wirkliches europäisches Change einzudringen, erhofft er sich nun neben seiner wohl baldigen Koalitionspartnerin im Hosenanzug profilieren zu können.

Bei der von Martin Schulz als großer Wurf in Aussicht gestellten EU-Verfassung handelt es sich um eine olle Kamelle. In doppelter Hinsicht: Zunächst natürlich, weil man 2004 schon einen »Vertrag über eine Verfassung für Europa« aufsetzte, der aber wegen der Vetos aus Frankreich und den Niederlanden nie ratifiziert wurde. Und ebenfalls antiquiert ist es, weil ein solches Unterfangen ohne den sukzessiven Umbau des Kontinents zu einer Sozial- und Arbeitsmarktunion einfach nicht mehr zeitgemäß ist.

Die EU-Verfassung hat man seinerzeit mit dem Lissaboner Vertrag umgangen. Ein multilaterales Abkommen war in vielen Mitgliedsstaaten nicht per Referendum abzufragen. Bei einer kontinentalen Verfassung, die man den nationalen Verfassungen quasi überstülpen wollte, sah die Sache ja anders aus. In Deutschland freilich nicht, hier entscheiden nach wie vor Abgeordnete frei nach Gewissenslage für sich und ihre Wähler. Der Vertrag wurde damals scharf kritisiert, versammelte er doch allerlei Grundsätze neoliberaler Wirtschaftsauffassung in seinen Kernpunkten.

Bewusst hatte man zum Beispiel auf das Sozialstaatlichkeitsprinzip verzichtet und die EU nach außen abgeschottet, während man allerlei Produkte aus dem eigenen Wirtschaftsraum derart subventionierte, dass sie außerhalb des EU-Raums als richtige Schnäppchen absetzbar waren. Auf jedem afrikanischen Markt ist europäisches Gemüse vielfach billiger als einheimische Produkte zu haben. Die dortigen Produzenten setzen nichts mehr ab – und deshalb setzen sie sich ab. In europäischer Arroganz nennt man diese Leute dann »Wirtschaftsflüchtlinge«. Der Handel mit Drittländern, die protektionistische Maßnahmen einrichten, um sich vor genau solchen Szenarien zu schützen, gilt seither auch als Lissaboner Vertragsbruch: Mit Schutzzöllnern verhandelt man nicht.

Stattdessen legte der Vertrag sein gesamtes Augenmerk auf ein europäisches Parlament, das diesen Namen kaum verdient. Und man sprach sich für eine gemeinsame Armee aus. Aber Sozialpolitik für den Kontinent? Fehlanzeige! Jahre nachdem der Vertrag ratifiziert wurde, im Zuge der Euro-Krise in Griechenland, stellte sich noch die deutsche Bundeskanzlerin vor die Presse und machte klar: »Die EU ist keine Sozialunion.« Dass sie es auch nie werden dürfe, unterstrichen ihre Maßnahmen und machten ihre konservativen Terrier dann gerne je und je deutlich, wenn sie vor die Kameras traten.

Martin Schulz hat das so natürlich nicht gesagt. Aber er hat die Berliner Vorgaben für die »Europarettung« gerne im europäischen Parlament flankiert. Kritik vernahm man von ihm eher selten. Von einer Sozialunion, einem Zusammenwachsen Europas auf fundamentaler Ebene, einer Standardisierung für die Menschen und nicht nur für den militärisch-industriellen Komplex, war auch bei ihm jetzt nicht die Rede. Er verstieg sich lieber in die »Vereinigten Staaten von Europa«, ganz ohne den Menschen Europas darlegen zu wollen, was sie davon haben könnten. Auch für ihn ist die EU dieselbe alte Wirtschaftsunion, die Profitzugänge schafft und Handelshemmnisse liberalisiert, während sie die soziale Frage immer machtloser agierenden Nationalregierungen überschreibt. Und wer bei seinem ausgemalten Kurs nicht mitzieht, so präzisierte er außerdem, der könne seine Koffer packen: You’re fired! Die Vereinigten Staaten von Europa haben ihren Trump schon gefunden, oder wie?

Es ist an sich ein richtiger Kurs, dass sich die strukturell linken Kräfte – ja, ja, ich weiß, die SPD ist doch nicht links! – einen neuen Entwurf eines organisierten Kontinents ausmalen. Die EU ist so nicht haltbar, sie braucht akute Reformen, sie muss endlich den Kontinent als mehr als nur einen Wirtschaftsraum begreifen. Ja, sie muss eben doch eine Sozialunion werden. Schritt für Schritt. Dazu braucht es einen langen Atem. Schulz und Merkel haben den nicht.

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