Freie Fahrt für Raser auf der A 7
Schleswig-Holstein: Polizei bewältigt Einsprüche gegen Bußgelder nicht - und kapituliert
Temposünder auf der inzwischen in die Jahre gekommenen Rader Hochbrücke - die Querung der A 7 über den Nord-Ostsee-Kanal bei Rendsburg - dürfen sich über freie Fahrt freuen. Wegen der hohen Zahl an Widersprüchen nach zugestellten Bußgeldbescheiden sind die Behörden überfordert, ihre Ohnmacht wurde nun auch öffentlich eingestanden: Raser werden nicht mehr belangt. Die Geschwindigkeitsbegrenzungen sind vor allem dem schlechten Zustand der Brücke geschuldet.
Das peinliche Eingeständnis kommt direkt aus dem schleswig-holsteinischen Verkehrsministerium. Demnach gibt es einen derart großen Bearbeitungsrückstau, dass schon seit einigen Wochen keine Tempoverstöße mehr geahndet wurden. Damit haben die vier im Herbst 2015 scharf gestellten Blitzer-Radarsäulen vom Typ »TraffiStar« - sie kosteten 250 000 Euro - momentan keine Funktion. Jedenfalls keine, die zu irgendwelchen Folgen führen würde. Dabei sind über 177 000 Fahrzeuge bis dato an diesem Streckenabschnitt geblitzt worden. Eine letzte Zählung ergab, dass täglich mehr als 54 000 Fahrzeuge die Rader Hochbrücke auf der Transitstrecke nach Skandinavien befahren.
Zunächst hatte sich das Eintreiben von Bußgeldern bei ausländischen Verkehrsteilnehmern, die sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung hielten, als sehr arbeitsintensiv bis zum Teil unmöglich herausgestellt. Dann kapitulierten die Behörden auch vor den deutschen Autofahrern, denn eine Flut von Einsprüchen legte den Verwaltungsapparat faktisch lahm. Als Ansatzpunkt für die Einsprüche erweist sich dabei die je nach Windrichtung variierende Tempolimitanzeige, die mit den Blitzern auf der Brücke verbunden ist. Die Anzeige auf der Leuchttafel wechselt zwischen 60, 80 oder 100 Stundenkilometer. Und genau dies wird in den vielen Einsprüchen durch im Verkehrsrecht bewanderte Anwälte angefochten. Die Rechtslage erfordert von der Polizei für jeden Einzelfall den exakten digitalen Nachweis der Tempolimitanzeige just im »Blitz-Moment« - das Zusammentragen der entsprechenden Zahlenkolonnen für die Beweisführung ist ziemlich aufwendig. Auf Intervention der Landespolizei wurde das viel Personal bindende Verfahren nun zunächst einmal eingestellt.
Eine neue technische Lösung für das Tempoanzeigesystem im Zusammenspiel mit den blitzenden Radarsäulen sei laut Verkehrsministerium noch nicht gefunden, soll aber bis zum Jahresende vorliegen. Der jetzt bekannt gewordene Zustand soll auf jeden Fall so rasch wie möglich behoben werden, liegt die Verjährungsfrist für Bußgeldbescheide doch bei gerade einmal drei Monaten.
Alle Lkw über 7,5 Tonnen dürfen auf der Brücke höchstens 60 Stundenkilometer fahren. Das soll das 45 Jahre alte Bauwerk vor zu starken Schwingungen durch rasende Sattelschlepper schützen. Ein Statikgutachten aus dem Jahr 2014 hat der Brücke eine Lebensdauer von nur noch zwölf Jahren vorhergesagt. Die große Sorge ist, dass der Zustand der Hochbrücke eine Schließung aus Sicherheitsgründen erfordert, noch bevor ein Ersatzbauwerk für die wichtige Verbindung nach Dänemark fertiggestellt ist. Ein Neubau der A 7-Querung ist inzwischen zwar beschlossene Sache. Die Details dafür stehen allerdings noch nicht fest. Auch über einen Tunnelbau und eine kombinierte Eisenbahntrasse wird diskutiert.
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