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Der scheinbar transparente Vertreter der Zigarettenindustrie
In einem Interview gibt sich ein Zigaretten-Lobbyist ganz transparent, bald könnten die bisher geheimen Protokolle über Lobbyisten-Gespräche öffentlich werden
Normalerweise ist der Prozess im politischen Berlin ja eher so: Lobbyisten und Wirtschaftsvertreter machen ihren Einfluss bei Treffen mit Politikern und Ministerien geltend, die Organisationen der Zivilgesellschaft protestieren draußen auf der Straße. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter gab es in den letzten Tagen online jedoch ein direktes Aufeinandertreffen. Das hatte durchaus einen Unterhaltungswert. Und es brachte einen Lobbyvertreter in die Öffentlichkeit, der vorgibt transparenter zu sein, als es sein Verband und das Landwirtschaftsministerium selbst ist.
Stein des Anstoßes der Twitter-Diskussion war ein Interview, das Jan Mücke, Geschäftsführer des Deutschen Zigarettenverbands, der »Südwest Presse« Ende November gegeben hatte. In dem Interview erklärte Mücke seine Arbeit: Es sei »eingeübte Staatspraxis«, dass Verbände wie seiner an Gesetzgebungsverfahren beteiligt seien, und berichtet über den Kontakt zu Fachpolitikern, den schließlich auch die Gewerkschaften halten würden.
Ein transparenter Lobbyist?
Wichtig sei »vor allem Transparenz«, sagt Mücke, der 2014 zur Tabakindustrie wechselte und vorher FDP-Bundestagsabgeordneter und Staatssekretär im Verkehrsministerium war. Diese Transparenz scheint offenbar auch für seine Arbeit zu gelten. Die Termine von »Fachgesprächen«, bei denen Mücke und andere Lobbyisten im Landwirtschaftsministerium ihre Position zu Gesetzesvorhaben darlegen, seien alle »auf der Internetseite des Ministeriums aufgeführt, die Gesprächsprotokolle kann jeder Bürger einsehen«, erklärte Mücke.
Ein aufrechter Interessensvertreter, der auch auf kritische Fragen schlaue und ausgewogene Antworten weiß, in etwa so müsste der Eindruck sein, den viele Leser nach dem Lesen des Interviews mit dem Zigarettenverband-Lobbyisten haben. Doch als Martin Reyher das Interview las, musste er stutzen. Der Mitarbeiter von abgeordnetenwatch.de sammelt hauptberuflich als Transparenz-Aktivist Daten über die Nebentätigkeiten von Abgeordneten und die Arbeit von Lobbyisten. Denn auf der Homepage des Ministeriums finden sich nur die Termine über Gespräche mit Lobbyvertretern, nicht aber Protokolle. »Wir haben dann im Ministerium nachgefragt, ob sie die Protokolle veröffentlicht hätten«, erzählt Reyher gegenüber »nd«.
Das Ministerium verneint. Für die Gespräche lägen »keine zwischen allen Gesprächsteilnehmern einvernehmlich abgestimmten Protokolle vor«. In der E-Mail, die dem »nd« vorliegt, heiß es weiterhin: »Es werden keine Gesprächsprotokolle veröffentlicht«. Im Übrigen verweist die Mitarbeiterin des Ministeriums auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei vom März 2017, in der die Bundesregierung genau dasselbe erklärte. Der drogenpolitische Sprecher der LINKEN, Frank Tempel, und weitere Abgeordnete wollten damals mit der Anfrage von Protokollen mehr Informationen darüber erlangen, wie es passieren konnte, dass in Deutschland auch im Jahr 2017 immer noch für Tabakprodukte geworben werden kann, obwohl die Bundesrepublik 2003 der WHO-Tabakrahmenkonvention beitrat.
»Es werden keine Protokolle veröffentlicht«
Die sieht ein »umfassendes Verbot aller Formen von Tabakwerbung« vor. Doch das ist in Deutschland selbst Ende 2017 noch nicht umgesetzt. Ob ein Treffen protokolliert werde, also »aktenrelevant« sei, entscheide »der zuständige Bearbeiter«. Zusätzlich fragt Reyher auch Mücke beziehungsweise den Deutschen Zigarettenverband an, wo es die Protokolle denn gebe. »Da kam keine Antwort und dann nur die patzige Antwort von Herrn Mücke auf Twitter«, erzählt abgeordnetenwatch.de-Mitarbeiter Reyher. Er habe sich auf einer Auslandsreise befunden und deswegen die Anfrage nicht beantwortet, sagt Mücke dem »nd«. Reyher hat einen anderen Eindruck: Mücke und der Verband wollen die Antwort auf die unbequeme Frage anscheinend einfach durch Nicht-Beantworten aussitzen. Deswegen greift er zu einer gängigen Technik von prominenten Journalisten.
Per Twitter stellte er seine Anfrage einfach noch einmal, höflich und nüchtern im Ton, aber eben für jeden öffentlich einsehbar, versehen mit dem Zusatz »Wir fragen auf diesem Wege, weil unsere Presseanfrage von Montag früh bislang unbeantwortet ist«. Journalisten mit vielen »Followern«, die also in der Öffentlichkeit stehen, versuchen so verschwiegene Politiker oder Verbände zum Reden zu bringen, für die der Imageschaden bei Nicht-Beantwortung von Fragen womöglich größer ist. In den meisten Fällen funktioniert dies nicht, doch manchmal antworten oder reagieren die so Angefragten doch.
Mücke reagierte dieses Mal schon wenige Stunden später: dünnhäutig und polemisch. »Schon mal was von IFG gehört?« polterte Mücke und »Man man man, jetzt müssen wir den Besserwissern von der #Empörungsspendenindustrie auch noch ihren Job erklären«.
Vom Informationsfreiheitsgesetz (IFG) haben Reyher und abgeordnetenwatch.de allerdings schon gehört und es auch immer wieder angewandt. Mit dem Gesetz können Bürger Informationen und Akten von Behörden anfragen, doch dafür muss ein Antrag gestellt und gegebenenfalls eine Gebühr gezahlt werden. In den meisten Fällen dauert es einen Monat oder länger, bis die Antwort eintrifft. Einfach einsehbar, wie von Mücke im Interview mit der Südwestpresse behauptet, sind die Protokolle damit nicht. »Man könnte vielleicht per Informationsfreiheitsgesetz an die Protokolle kommen, aber es ist ja ein Witz, so für Transparenz sorgen zu müssen«, meint Reyher.
Auch dies schrieben die Transparenzaktivisten auf Twitter - und der Zigarettenverband antwortete. Es sei doch eine »rechtstaatliche Grundvoraussetzung«, dass in einem »Verwaltungsverfahren« (gemeint ist eine Abfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz) auch die »Interessen Dritter abgefragt werden müssen«.
»Geschäftsgeheimnisse«
Das wird nun in aller Förmlichkeit geschehen. Über das Portal fragdenstaat.de haben die Aktivisten nun eine IFG-Anfrage an das Bundeslandwirtschaftsministerium gestellt. Sie wollen die Protokolle oder »Gesprächsvermerke« aller zehn Treffen einsehen, an denen der Zigarettenverband in den letzten vier Jahren beteiligt war. »Er freue sich schon auf den Prozess«, antwortete der Zigarettenverband-Vorstand online. Die eigenen Protokolle herausgeben will Mücke nicht, weil sie »Geschäftsgeheimnisse« enthalten erklärt der Industrievertreter, der meint eine Einsicht in die Protokolle des Ministeriums sei »ausreichend«, für Auskünfte zu »Einzelaspekten« stünde er aber zur Verfügung.
In seinem Interview mit der »Südwest Presse« behauptet Mücke auch, es herrsche »Waffengleichheit« zwischen dem Zigarettenverband und Verbraucherschützern wie lobbycontrol und abgeordnetenwatch.de, weil auch diese über »beträchtliche Finanzmittel« verfügen würden. 2016 konnten die Aktivisten von abgeordentenwatch.de laut dem Transparenzbericht der Initiative Einnahmen von 740.000 Euro einsetzen. Informationen über das Jahresbudget des Zigarettenverbands sucht man dagegen vergeblich.
Wer zahlt?
Auch deswegen setzt sich »Abgeordnetenwatch« für ein Transparenzregister für die geschätzt mehr als 5000 Lobbyisten in Berlin ein, das solche und andere Informationen enthalten würde. Auch die Linkspartei hat einen Gesetzesentwurf dazu eingebracht. Gegenüber dem »nd« erklärt Mücke der Etat, der dem Zigarettenverband zur Verfügung stehe, sei »weit geringer« als der von Abgeordnetenwatch, konkrete Zahlen nennt er nicht. Ein Blick auf die Mitgliedsunternehmen des Zigarettenverbands zeigt aber eine 20,5 Milliarden-Euro-Industrie, so hoch war der Jahresumsatz der Tabakindustrie 2016. Der Verband vertritt mit Mitgliedsunternehmen wie»Reemtsma«, »British American Tobaco« und anderen 60 Prozent der Industrie.
»Wir fänden es nur folgerichtig, wenn Herr Mücke die Gebühren übernimmt«, sagt Reyher deswegen, eben weil Tabaklobbyist Mücke sich transparenter darstelle, als er sei. Deswegen steht am Ende der IFG-Anfrage an das Ministerium: »Sollten Gebühren anfallen, richten Sie die Rechnung bitte an:
DZV Deutscher Zigarettenverband
z.H. Geschäftsführung
Unter den Linden 42
10117 Berlin«
Doch der will die Kosten nicht übernehmen. Die Angabe der Verbandsadresse in der IFG-Anfrage sieht Mücke als »bewusste Grenzüberschreitung« von »Abgeordnetenwatch«. Die will er »juristisch prüfen« lassen.
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