Ein nackter Mann steht im Wald
In der Galerie C/O Berlin im Amerika-Haus faszinieren zwei Fotokünstler mit ihren Werken
Manche Bilder erzählen ihre ureigenen Geschichten, streben einem Höhepunkt entgegen, wollen eine deutliche Aussage treffen und lassen sich deshalb betrachten als Resultat genauer Beobachtungen, als Ergebnis einer Reihe von Überlegungen: Ob faszinierende Aufnahmen vom Innenleben von Städten oder Bilder, die beim ersten Anschauen nicht nur irritieren, sondern unmittelbar auch das Gefühl auslösen können, »da stimmt doch was nicht, da widerspricht sich doch etwas« - jedes Bild dieser Art hat seinen eigenen szenischen Charakter, gibt einen zentralen Moment wieder, den Moment, den man als einen vollendeten Augenblick interpretieren kann. Wie faszinierend und zugleich anspruchsvoll und logisch geschlossen Fotokunst sein kann, demonstrieren derzeit wirklich eindrucksvoll zwei Fotokünstler im Amerika-Haus.
Der Norweger Torbjørn Rødland und der New Yorker Joel Meyerowitz sind in der Fotokunst keine unbekannten Gestalten. Zwei Künstler, deren Werke deutlich im Kontrast zueinander stehen: Meyerowitz’ Fotos sind auf Zelluloid gebannte, lebendige, spannende Stadtgeschichten, die Bilder von Rødland dagegen erinnern an Rätsel, an Fotos, die ziemlichen Bedarf an Deutung haben. Sie lassen sich sehen als eine fesselnde Mischung aus Traumbildern, Erinnerungen, Realität und Experiment.
Ein nackter Mann steht in einer merkwürdig verkrümmten Haltung alleine in einem tiefen, aber licht durchtränkten Wald. Seine Beine sind weit gespreizt, der nach vorne gebeugte Oberkörper wird leicht zur Seite gedrückt, beide Hände liegen auf dem Boden auf und stützen so den Körper ab; ein Arm geht dabei über den Kopf, drückt diesen in Richtung Oberschenkel. Beide Hände stecken in weißen Socken und Turnschuhen. Beim ersten Blick auf das Bild von Torbjørn Rødland können deshalb Arme und Hände mit Füßen und Beinen verwechselt werden, womit schon Irritation programmiert ist.
Auch wenn diese abgeschüttelt, der kleine Täuschungsversuch durchschaut ist: Der Ort und die Haltung des Mannes werfen sofort Fragen auf. Aber nicht nur dies. Der innere Bildzusammenhang, der »schwebt« zwischen Absurdität, seltsamem Märchenbild und hartem Rätsel, polarisiert wohl viele: Rødlands Werk gehört zu den Bildern, die Menschen faszinieren oder abschrecken - man verweilt entweder länger davor oder geht schnell wieder. Aber wie immer auch der Einzelne sich zu den Bildern des Norwegers positioniert: Seine Werke stechen hervor, haben eine Signatur, wenn man so will, eine Bildsprache aus widerborstigen Gegensätzen.
Dies kann man auch festmachen an einem anderen Bild des Norwegers, bei dem ein klassischer Muskelprotz seinen schon fast übersehnigen, rot-bläulich getönten Arm durch zwei schlanke, mit Netzstrümpfen bekleidete Beine einer Frau streckt und mit seiner Hand einen Fuß von ihr fest anfasst. Ein Moment, der nicht nur etwas Besitzergreifendes hat, sondern auch etwas ästhetisch Widersprechendes: Grob und fein, der Künstler lässt das in diesem Bild aufeinanderprallen. »Back in Touch« nennt der Norweger seine Ausstellung.
In eine ganz andere Bilderwelt taucht man ein bei der Betrachtung der Werke von Joel Meyerowitz. »Why Color?«, so der Titel, ähnelt manchmal mehr einer Stadterzählung als einer reinen Bildausstellung. »New York, New York«, möchte man laut rufen beim Anschauen nicht weniger Bilder von Meyerowitz, die so ganz typisches Stadt- und Straßenleben wiedergeben. Momente, die man aus Filmen von dort kennt, und Momente, wie sie sich wohl nur in solchen Städten ereignen können. Ob jetzt vier »Stadtladys« vor einem kleinen Laden stehen und irgendetwas intensiv miteinander diskutieren oder ob ein im Anzug gekleideter weißer Mann skeptisch auf einen schwarzen Mann mit großem Hund schaut: Meyerowitz zeigt Stadtszenen, die vor Leben strotzen.
Der New Yorker Künstler geht gut um mit den Farben, die ihm dazu dienen, seinen Bildern Lebendigkeit und Authentizität zu geben. Besonders gelungen ist auch ein wunderbares Foto von einer attraktiven Frau, die an der Wand eines Lebensmittel-Ladens lehnt und konzentriert auf etwas schaut, das das Bild leider nicht mehr zeigt. Im Hintergrund sieht man Teile einer typischen nordamerikanischen Stadt: eine lange Straße, einen klassischen hohen Wolkenkratzer, aber auch ein paar Billigläden und Häuser, die nicht mehr so ganz schick sind - Reich und Arm sind hier noch nahe beieinander.
»Why Color?« und »Back in Touch«, bis zum 11. März im Amerika-Haus, C/O Berlin, Hardenbergberstraße 20-22, Mitte
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