Ein Märchenschloss für Leseratten und Büchernarren
Rheinsbergs Literaturmuseum bietet weit mehr als bloße Erinnerungen an den Schauplatz von Kurt Tucholskys romantischster Novelle
Die Stadt am Grienericksee war preußische Residenzstadt, nach 1740 wurde in Rheinsberg ein Rokokoschloss für den jungen, kunstsinnigen König Friedrich II. erbaut. Es zählt zu den schönsten seiner Art in Brandenburg und war wohl Vorbild für das Schloss Sanssouci in Potsdam. In seinen »Wanderungen durch die Mark« setzte Theodor Fontane Rheinsberg ein literarisches Denkmal. Richtig berühmt aber machte das Städtchen der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890-1935) mit seinem für sein Erscheinungsjahr 1912 recht aufmüpfigen Bändchen »Rheinsberg: Ein Bilderbuch für Verliebte«.
Die Stadt ist dem großen Publizisten dankbar geblieben. Seit 1995 etwa vergibt sie im Gedenken Tucholskys jährlich jeweils für fünf Monate zwei Stipendien in Höhe von 5000 Euro. Die gehen, verbunden mit freier Unterkunft in einer eigens eingerichteten Wohnung im Marstall des Schlosses, an ihre Stadtschreiber. 2017 stellten Kathrin Schmidt und Ahne am Ende ihres Stipendiums ihre poetischen Erkundungen in den Rheinsberger Bögen 45 und 46 vor.
Nicht zuletzt unterhält die Stadt das Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum. Es geht auf die im Januar 1989 gegründete Tucholsky-Gedenkstätte zurück. Seit 1991 mit Sitz im Schloss Rheinsberg, wurde sie 2004 in Literaturmuseum umbenannt.
Das Haus hat sich auch unter bisweilen sehr schwierigen Rahmenbedingungen mit Erfolg behauptet. Dieser Tage hat das Museum eine positive Bilanz für 2017 gezogen. Die Sammlung habe seit Jahresbeginn um bedeutende, ja »sensationelle« Exponate erweitert werden können, teilte das Museum in seinem jüngsten »Jahresbrief« mit. Darunter sei auch eine Erstausgabe des Schriftstellers und Satirikers Kurt Tucholsky: der äußerst seltene »Zeitsparer« von 1914. Es sei die letzte Tucholsky-Erstausgabe, die dem Museum im Schloss Rheinsberg noch gefehlt habe und nach 20-jähriger Suche in Antiquariaten nun erworben werden konnte.
Aus dem Nachlass des 2015 verstorbenen Publizisten und Literaturkritikers Fritz J. Raddatz habe das Museum von der Insel Sylt ein Bild und zwei Sessel erhalten, die aus der einstigen Wohnung von Kurt und Mary Tucholsky stammten, hieß es weiter. Aus Dresden gingen drei Widmungsexemplare von Tucholsky und weitere bedeutende Bücher aus dem Besitz der letzten noch lebenden Verwandten des Schriftstellers als Schenkung an das Museum.
Auch ein ganz besonderes Stück Rheinsberger Geschichte kehrte in die Stadt zurück. Der Hallenser Galerist Thomas Steuber habe das Schlüsselbrett aus dem Rheinsberger Hotel »Fürstenhof«, an das die Protagonisten des »Bilderbuchs für Verliebte«, Claire und Wölfchen, im Buch ihre Zimmerschlüssel hängten, dem Museum geschenkt. In der autobiografisch geprägten Novelle begleitet Kurt Tucholsky das unverheiratete Liebespaar drei Tage lang auf ihrem Ausflug »ins Grüne«, ihrer Flucht aus der Enge der Großstadt Berlin und ihren spießigen bürgerlichen Konventionen ins idyllische Rheinsberg. Der historische »Fürstenhof« stellte nach Kriegsende 1945, bereits schwer beschädigt, den Betrieb ein und ist längst verschwunden.
Das historische Schlüsselbrett wurde ab Oktober 2017 im Rahmen des sogenannten Archivschaufensters der Öffentlichkeit gezeigt. In diesem speziellen Format kleinerer, regelmäßig wechselnder Ausstellungen gewährt das Haus einen Blick hinter die eigenen Kulissen. Zu sehen waren dort auch die beiden Sessel Tucholskys.
Im kommenden Jahr kann das Museum dank einer Zuwendung vom Land vorerst bis Ende 2018 einen Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit und Museumspädagogik in Teilzeit und einstellen. Das gibt dem Literaturmuseum die Möglichkeit, die eigenen Bestände für die Onlinenutzung zu erschließen. Auch die Bestände des Alfred-Wegener-Museums im Ortsteil Zechlinerhütte, das seit 2009 unter seinem Dach geführt wird, sollen nach modernen Standards erfasst werden. Vorangebracht werden soll die museumspädagogische Arbeit im Bereich Kinder und Jugend.
Das Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum gehört zu den kulturellen Gedächtnisorten mit nationaler Bedeutung, die im sogenannten Blaubuch der Bundesregierung verzeichnet sind. Dort sind insgesamt 20 Kulturinstitutionen in Ostdeutschland als »kulturelle Gedächtnisorte« und weitere 20 als »kulturelle Leuchttürme« verzeichnet. Zu den Gedächtnisorten gehören das Kleist-Museum in Frankfurt (Oder), das Fontane-Archiv in Potsdam, das Lessing-Museum in Kamenz und das Nietzsche-Haus in Naumburg. Als »kulturelle Leuchttürme« wurden die Preußischen Schlösser und Gärten in Berlin und Brandenburg, das Bauhaus in Dessau, die Wartburg in Eisenach, die Klassik-Stiftung Weimar, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und die Luther-Gedenkstätten in Wittenberg und Eisleben aufgenommen. mit epd
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