• Berlin
  • Verkehrswende in Berlin

Wir haben die Planung vorangebracht

Senatorin Regine Günther will die Verkehrswende bis zum Ende der Legislatur im Jahr 2021 sichtbar machen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 6 Min.

Um Diesel-Fahrverbote wegen zu hoher Stickoxidwerte zu verhindern, haben Sie aufwendige Untersuchungen gestartet, mit denen der Verkehr zum Beispiel auf der Leipziger Straße flüssiger gemacht werden soll. Ist das nicht eine Verschwendung knapper Planerressourcen angesichts einer nur geringen Reduktion der Belastung?
Eine Verstetigung des Verkehrs ist eine der erfolgversprechendsten Maßnahmen, die eine Kommune wie Berlin rechtssicher machen kann, um Stickoxidemissionen zu reduzieren. Wir müssen aber prüfen, ob Tempo 30 zu den gewünschten Ergebnissen führt. Deshalb führen wir Tests durch. Gerade an Straßen mit geringen Überschreitungen des Grenzwertes kann eine Verstetigung des Verkehrs dazu führen, dass er eingehalten wird. Unsere Maßnahmen werden zwar bei 70 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter die Werte nicht auf 40 Mikrogramm senken können. Aber wenn es zehn, 15 Prozent sind, ist das schon beträchtlich und sollte umgesetzt werden. Jede Minderung zählt.

Einfach Tempo-30-Schilder zu montieren reicht nicht?
Ziel ist die Verringerung der Stickoxide durch die Verstetigung des Verkehrs. Dazu müssen auch die Ampelschaltungen richtig programmiert sein, um ein permanentes Stop-and-go zu vermeiden.

Zur Person
Seit etwas über einem Jahr ist Regine Günther (parteilos, für Grüne) Senatorin für Verkehr, Umwelt und Klimaschutz. Die politische Quereinsteigerin war von 1999 bis 2016 bei der Umweltstiftung WWF für Klimathemen verantwortlich, im Senat muss sie vor allem die ökologische Verkehrswende managen. Über Probleme und Fortschritte dabei sprach mit Regine Günther für »neues deutschland« Nicolas Šustr.

Für die Ampelschaltungen ist in der Regel die Verkehrslenkung Berlin (VLB) zuständig, seit langem als nicht funktionierende Problembehörde verschrien. Wie sieht es da inzwischen aus?
Ihre sehr pauschale Kritik an der VLB teile ich so nicht, auch wenn es in der Vergangenheit deutliche Schwierigkeiten gab. An der Verbesserung arbeiten wir intensiv. Wir haben eine Organisationsanalyse durchgeführt, deren Auswertung fast abgeschlossen ist. Seit August ist ein neuer Leiter im Amt und mit ihm werden wir besprechen, welche Veränderungen notwendig sind. Darüber hinaus haben wir Personal aufgebaut. Ich bin zuversichtlich, dass wir auf gutem Weg sind.

Unter anderem die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sind in der »Task Force Beschleunigung«, die bei der VLB angesiedelt ist. Der Fortschritt zum Fahrplanwechsel im Dezember war überschaubar. Wann wird denn mehr zu sehen sein?
Die Task Force Beschleunigung hat bislang für sieben Linien Maßnahmen abgestimmt, die jetzt sukzessive umgesetzt werden. Für die Tramlinie M1 sind Verbesserungen zum Fahrplanwechsel im Dezember umgesetzt worden, für die Buslinien M27, 136/236 und die neue Linie X36 hat die Umsetzung begonnen, die Straßenbahnen M4 und die M6 folgen im Frühjahr 2018.

Für die Verkehrswende brauchen Sie auch mehr Kapazität bei der Bahn. Fahrzeuge fehlen bereits jetzt und es gibt Probleme mit Weichen, Gleisen und Signalen, die fehlen oder in schlechtem Zustand sind.
Unsere Erwartung an die S-Bahn und den Mutterkonzern DB Netz ist, dass sie die Schwierigkeiten mit Stellwerken und Signalstörungen schnell in den Griff bekommen. Was die Kapazitäten betrifft: Es ist richtig, dass die Ausgangssituation problematisch ist. Weil bei S-Bahn und U-Bahn keine neuen Wagen zur Verfügung stehen, ist unser Spielraum, kurzfristig zu signifikanten Verbesserungen zu kommen, sehr begrenzt. Trotzdem stellen wir wichtige Weichen. Wir arbeiten mit Brandenburg und der Deutschen Bahn an Verbesserungen für die Berufspendler. Wir haben gemeinsam die Initiative »i2030« ins Leben gerufen, um für Berufspendler auf überlasteten Strecken erste Abhilfe zu schaffen und die Planung für den Ausbau des regionalen Schienenverkehrs zu beschleunigen. Wir strecken das Geld für die Planung vor. Aber Infrastruktur ist nichts Schnelllebiges und geht nicht von heute auf morgen. Was vor zehn Jahren versäumt wurde, werden wir nicht bis Mitte nächsten Jahres gebaut haben. Das ist ausgeschlossen. Ja, es geht langsam, aber so schnell wie möglich.

Zu langsam geht es auch der Fahrradlobby voran mit der Umgestaltung der Straßen. Wie sieht es mit der Besetzung der zusätzlichen Planerstellen aus?
Hier sind wir sehr gut im Plan. Wir haben in diesem Jahr die Planung für erste geschützte Radfahrstreifen und Radschnellwege ein gutes Stück vorangebracht. Es ist einfach eine unrealistische Erwartung, dass in zwölf Monaten in Berlin eine neue Infrastruktur sichtbar werden kann. Gerade bauen wir das notwendige Personal auf. Wir haben bei der Infra Velo GmbH, die neue, bezirksübergreifende Radwege planen wird, eine Geschäftsführung und acht von insgesamt 30 Beschäftigten eingestellt. In den Bezirken sind 14 von 24 neuen Radplanerstellen besetzt. In meinem Haus sind ab Januar zehn neue Stellen für die Radinfrastruktur besetzt. Die Tiefbauabteilung meiner Senatsverwaltung sucht noch Ingenieure. Insgesamt können wir mit dem Doppelhaushalt 2018/2019 in den nächsten zwei Jahren 150 zusätzliche Stellen besetzen.

Das schaffen Sie?
Nach der Teilung des Ressorts in die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen und die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz fehlte Personal gerade in der Personalabteilung. Das hat es natürlich nicht leichter gemacht. Aus diesem Tal sind wir jetzt langsam draußen.

Kürzlich ist die Gitschiner Straße in Kreuzberg nach Eröffnung des Radwegs für Autos einspurig geworden. Zwar gibt es Beschwerden, dass der Weg nun als Parkplatz missbraucht wird, der Aufschrei der Autolobby blieb aber aus.
Mir scheint im letzten Jahr die Einsicht gewachsen zu sein, dass wir umgestalten müssen, um die Mobilität in der Stadt zu sichern. Das liegt bestimmt auch daran, dass wir alle Prozesse sehr breit anlegen und die Betroffenen einbeziehen. Aber man kann nie ausschließen, dass es an der einen oder anderen Stelle Aufgeregtheiten gibt.

Was halten Sie von der Elektrifizierung des Autoverkehrs, die oft als große Zukunftsverheißung gepriesen wird?
Ich bin Anhängerin von vernetzter elektrischer Mobilität. Da, wo das Auto notwendig ist, soll es sauber sein. Wir werden aber nicht die Verkehrsprobleme lösen, wenn wir eins zu eins Verbrennungsmotoren durch Elektroautos ersetzen. Die Menschen sind in den Städten am zufriedensten mit ihrer Mobilität, in denen massiv in die Nahverkehrssysteme und in die Radverkehrsinfrastruktur investiert wurde. Das ist auch das Ziel unseres Mobilitätsgesetzes und übrigens auch das Ergebnis des ADAC-Monitors 2017.

Autofahrer steigen normalerweise erst dann um, wenn es neben einer Verbesserung des Nahverkehrs auch Einschränkungen für den motorisierten Individualverkehr gibt.
Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Angebote auszuweiten. Wenn das Angebot stimmt, sind die Menschen eher bereit, auf den ÖPNV umzusteigen.

Wie weit werden Sie mit der Verkehrswende bis zum Ende der Legislaturperiode sein?
Bis 2021 werden wir mit dem Bau der Radwege deutlich weiter sein - aber wir können in vier Jahren nicht aufholen, wofür Städte wie Amsterdam oder Kopenhagen 30 Jahre gebraucht haben. Wir werden mit dem Bau von drei bis fünf neuen Tramstrecken begonnen haben - je nachdem, wie sehr wir die Planung beschleunigen können. Wir werden viel mehr Elektrobusse haben: wenn wir pro Jahr 30 oder 45 Stück kaufen, sind es 180. Augenblicklich haben wir vier Elektrobusse. Wir werden die Stickoxid-Problematik hoffentlich eingedämmt haben. Die große Entlastung beim öffentlichen Nahverkehr wird kommen, wenn die neuen Wagen der S-Bahn und der U-Bahn da sind. Dann kann man die Taktverdichtung umsetzen und Züge verlängern. Hier werden in der nächsten Legislaturperiode die Früchte geerntet werden können, die wir jetzt säen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.