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Kriminelle Flüchtlinge? Ja und Nein

Studie untersucht Zusammenhang zwischen Flüchtlingszuzug und Kriminalitätsentwicklung

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 6 Min.
Flüchtlinge und Kriminalität – Kriminelle Flüchtlinge? Ja und Nein

Sind Flüchtlinge womöglich doch krimineller als Deutsche? Was an rechten Stammtischen immer wieder als rassistische Vermutung geraunt wird, haben die Kriminologen Dr. Christian Pfeiffer und Prof. Dr. Dirk Baier mit Daten des Landeskriminalamts Niedersachsen untersucht. Zunächst bemerken die Studienautoren, dass die Gewaltkriminalität zwischen 2008 und 2014 »kontinuierlich« um insgesamt 22 Prozent* zurückgegangen ist.

Das entspricht dem Gesamttrend rückläufiger Kriminalität, den Forscher seit den 90er Jahren in westlichen Gesellschaften beobachten. Doch 2015 und 2016 stieg die Gewaltkriminalität in Niedersachsen um 10 Prozent. Die Analyse der »zu 83 Prozent aufgeklärten Straftaten zeigt, dass der Anstieg zu 92 Prozent Flüchtlingen zuzurechnen ist«, schreiben die Autoren. 2014 waren noch in 4 Prozent aller aufgeklärten Fälle von Gewaltkriminalität Geflüchtete tatverdächtig, zwei Jahre später waren es 13 Prozent.

Obwohl Geflüchtete damit weiterhin nur für etwas mehr als ein Zehntel aller Gewaltkriminalität verantwortlich sind, ist das ein starker Anstieg von 241 Prozent. Warum es dazu kam, versuchen der ehemalige Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) und sein Kollege vom Züricher »Institut für Delinquenz und Kriminalprävention« auch zu erklären, der Anstieg relativiere sich dann »deutlich«.
Zum einen habe sich schlicht die Zahl der in Niedersachsen registrierten Flüchtlinge verdoppelt – hier kam es zu einer Zunahme von 117 Prozent.

Ein weiterer banaler Grund: Unter den in Niedersachsen lebenden Geflüchteten finden sich besonders viele junge Männer im Alter von 14 bis 30 Jahren, also Angehörige der Altersgruppe, die weltweit für die meisten Straftaten verantwortlich ist. Ein weiterer Grund ist offenbar der Aufenthaltsstatus. Obwohl Geflüchtete aus Syrien, Irak und Afghanistan eine Mehrheit unter den Flüchtlingen in Niedersachsen stellen (54 Prozent), sind sie nur für 34 Prozent aller Gewalttaten und 16 Prozent aller Raubdelikte der Gruppe verantwortlich.

Die wenigen Geflüchteten aus Nordafrika sind dagegen für überproportional viele Straftaten verantwortlich. Eine wichtige Ursache dafür: der Aufenthaltsstatus. Kriegsflüchtlinge würden ihre »guten Chancen« auf einen Aufenthaltstitel eher nicht durch Straftaten gefährden, außerdem wirke sich »stabilisierend« aus, dass der Sozialstaat sie mit dem Nötigsten versorge. Geflüchtete aus Algerien, Tunesien und Marokko jedoch würden gleich nach ihrer Ankunft erfahren, dass sie »unerwünscht« seien und so in Versuchung kommen, ihr Leben durch Kriminalität zu bestreiten. Ein weiteres Merkmal dieser Gruppe sei der überproportional hohe Anteil junger Männer unter 30 (49 Prozent), die die weitaus strapaziösere Reise über das Mittelmeer eher bewältigen könnten.

Frühere Forschungen des KFN zum »Dunkelfeld« würden zudem zeigen, dass die Anzeigebereitschaft »etwa doppelt so hoch« sei, wenn Opfer und Täter sich nicht kennen würden oder verschiedenen ethnischen Gruppen angehören. Wenn deutsche Täter aus dem Land stammende Opfer schlagen oder im Familienumfeld vergewaltigt wird, wird dies weniger häufig gemeldet, während Flüchtlinge besonders häufig angezeigt werden. Den Hinweis darauf würden die Innenminister bei der Präsentation von Studiendaten allerdings meist vermeiden. Damit verweisen die Forscher auf die Erkenntnis von Kriminologen, dass Kriminalitätsstatistiken in vielen Fällen nicht das wirkliche Verbrechen zeigen, sondern nur das – unter Umständen unterschiedlich intensive – Vorgehen der Polizei, oder eben der Betroffenen gegen einzelne Delikte oder Tätergruppen.

Laut den Daten der Studie sind zwei Drittel der Opfer der Gewaltkriminalität von Flüchtlingen andere Geflüchtete oder sonstige Ausländer. Bei den Tötungsdelikten sind es sogar 91 Prozent. Es sei zu vermuten, dass die »beengten Wohnverhältnisse in Flüchtlingsunterkünften«, monatelang gewachsene Frustration und Spannungen zwischen religiösen Gruppen unter Flüchtlingen dafür gesorgt hätten. Bei Raubdelikten waren die Opfer dagegen zu 70 Prozent Deutsche, wegen einer möglicherweise erwartbaren »höheren Beute«, vermuten die Forscher.

Auch bei sexueller Nötigung und Vergewaltigung durch Geflüchtete ist eine Mehrheit der Opfer deutsch (58 Prozent). Neben einer niedrigeren Anzeigebereitschaft vermuten die Autoren hier auch Hemmungen gegenüber der Polizei und wenig Informationen über die eigenen Rechte bei betroffenen Flüchtlingsfrauen. Sie beklagen auch das Fehlen der »zivilisierenden Wirkung« von Frauen. Der Frauenanteil unter Geflüchteten habe in Niedersachsen nur bei 22 Prozent gelegen. Die nicht anwesenden Partnerinnen, Mütter und Schwestern hätten der »Machokultur« unter männlichen Flüchtlingen so weniger effektiv Grenzen setzen können. Der Familiennachzug für Flüchtlinge sei aus dieser Sicht »nicht dumm«, so Pfeiffer.

Überhaupt sei eine Differenzierung nach Flüchtlingsgruppen und ihrem soziodemografischen Hintergrund wichtig. Weil sich unter Flüchtlingen aus Osteuropa nur vergleichsweise wenig Jugendliche befinden, ist ihre Gewaltkriminalität nur unmerklich höher als die der Gesamtbevölkerung. Auch in der Gruppe der Flüchtlinge aus »sonstigen Ländern«, wie etwa der Türkei,gebe es nur einen geringen Unterschied zwischen der Tatverdächtigenquote und ihrem Anteil in der Flüchtlingsbevölkerung. Trotz der Tatsache, dass es unter ihnen besonders viele junge Erwachsene mit schlechten Bleibeperspektiven gebe, gehe von ihnen als politisch verfolgten und gut ausgebildeten Angehörigen der Mittelschicht - wie etwa bei iranischen Flüchtlingen der Vergangenheit - keine erhöhte Gewaltbereitschaft aus.

Mit Hinblick auf afghanische Flüchtlinge zeigen sich die Studienautoren besorgt, sie befürchten, dass diese Gruppe in Zukunft sich verstärkt verhalten könnte wie junge männliche Geflüchtete aus Nordafrika. Die Abschiebungen von Afghanen in den letzten Monaten hätten eine »erhebliche Unsicherheit« erzeugt. Die Sorge sei begründet, dass viele ihre Zuversicht eingebüßt haben, in Deutschland zumindest vorübergehend bleiben zu dürfen und damit ihn die Illegalität und Kriminalität abrutschen könnten. Doch ihre Gruppe sei zehnmal größer als die der Nordafrikaner. Deswegen sprechen sich Baier und Pfeiffer dafür aus, afghanische Geflüchtete weiterhin als Kriegsflüchtlinge zu behandeln. Die Zunahme der kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan rechtfertige dies.

Überdies schlagen die Forscher ein ganzes Maßnahmenbündel gegen Kriminalität unter Geflüchteten vor. Wichtig sei eine »gut organisierte Tagesstruktur«, Sprachkurse, Sport und Freizeitaktivitäten sowie Praktika und berufsnahe Kurse und ein Einwanderungsgesetz nach dem Vorbild Kanadas. Wenn Einwanderer sich um die Erfüllung von »Einwanderungsvoraussetzungen« bemühen müssten, würde dies auch möglicher Gewalt vorbeugen. Für die Geflüchteten, deren Asylanträge abgelehnt worden seien, müssten trotz bevorstehender Abschiebung Praktika, Sprachkurse und deutliche bessere finanzielle Rückkehrreize wie Mikrokredite dafür sorgen, das nach einer Abschiebung die Rückkehr ins Heimatland nicht zur einer »Niederlage« sondern zu einem Neuanfang etwa im Tourismus werde.

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