Ex-Ministerin greift Lindner an

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warnt die FDP-Führung vor neuem Rechtskurs

  • Florian Haenes
  • Lesedauer: 3 Min.

Für die neue FDP ist sie eine Stimme aus längst vergangener Zeit: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Ex-Justizministerin und mit 66 Jahren noch die jüngste unter den vergreisenden liberalen Bürgerrechtlern. Vor dem alljährlichen Dreikönigstreffen der Freien Demokraten am Freitag hat sie in einem Gastbeitrag in der »Süddeutschen Zeitung« die neue Parteiführung deutlich kritisiert. Sie ist damit die erste prominente Stimme in der FDP, die das Schweigen über den Rechtsschwenk der Liberalen bricht.

Die Kritik ist nicht als Affront formuliert. Nüchtern benennt sie liberale Selbstverständlichkeiten, die inzwischen aber zur Disposition stehen: »Der organisierte Liberalismus ist mutig und widersteht den populistischen Verlockungen«, schreibt Leutheusser-Schnarrenberger. »Er blickt nicht in die eine Richtung, nur um ein paar Wähler anzusprechen.«

Genau das beabsichtigt jedoch das Strippenzieherduo aus Parteichef Christian Lindner und seinem Vize Wolfgang Kubicki. Es will in die Lücke zwischen AfD und Union stoßen, weil es dort das Wählerpotenzial für eine große nationalliberale Bewegungspartei vermutet. »Einen Weg der FDP als rechtes Bollwerk für unzufriedene Wähler der früheren Volksparteien kurz vor der AfD kann es nicht geben«, erwidert darauf Leutheusser-Schnarrenberger.

Im Umgang mit der AfD fährt die FDP-Führung derzeit eine Doppelstrategie. Sie kopiert die Positionen der AfD (»Frau Merkel hat Chaos gestiftet«). Zugleich kritisiert die FDP das »völkisch-autoritäre« Weltbild der Rechtspopulisten und echauffiert sich öffentlichkeitswirksam, im Bundestag am rechten Rand neben ihnen Platz nehmen zu müssen. »Wir sind das genaue Gegenteil der AfD«, insistiert Lindner. Leutheusser-Schnarrenberger bezeichnet das hingegen als »pure Abgrenzungsrhetorik« und verlangt unzweideutige Bekenntnisse: zu EU, Euro und offener Gesellschaft.

Ihre ambitionierte Neuausrichtung stellt die FDP zunehmend vor eine Zerreißprobe. Neben dem traditionellen Unternehmerflügel, der die wirtschaftsfreundliche Jamaika-Koalition begrüßt hätte und dem die neue Obsession für kurzlebige Start-Ups missfällt, fühlen sich auch Bürgerrechtler und Verfassungspatrioten entfremdet: Der in den Sondierungsgesprächen zur Schau getragene Unwille zum Kompromiss widerspricht ihrer Ansicht nach dem pluralistischen Selbstverständnis der FDP. Dass gerade der geschmeidige Lindner sich nach dem Jamaika-Boykott als »Überzeugungstäter« darstellte, dürfte ihren Ärger auf die Spitze getrieben haben. Niemand traut dem als Opportunisten verschrienen Parteichef zu, wie Leutheusser-Schnarrenberger einmal aus Prinzipientreue ein politisches Amt niederzulegen - 1995 war die Politikerin vom Posten der Justizministerin zurückgetreten, weil sie den Großen Lauschangriff als grundgesetzwidrig ablehnte. Zwischen 2009 und 2013 bekleidete sie das Amt ein zweites Mal.

Um trotz des von ihm verantworteten Oppositionskurses Tatkraft auszustrahlen, kündigte Lindner kürzlich an, in Hessen und Bayern bei den Wahlen in diesem Jahr Regierungsbeteiligungen anzustreben. Er wolle nun über den Bundesrat Politik gestalten. Leutheusser-Schnarrenberger hält die Erfolgsaussichten für gering. Auch aus strategischen Gründen trauert sie einer Jamaika-Koaltion hinterher. Der diffuse Einfluss der FDP auf Entscheidungen im Bundesrat sei der Öffentlichkeit überhaupt nicht vermittelbar. Vielmehr treibe viele Bürger schon jetzt die Frage um, ob die FDP den Erwartungen an eine »kraftvolle Politik der Freiheit« tatsächlich gerecht würde.

Interessanterweise lobt Leutheusser-Schnarrenberger in dem Gastbeitrag den »organisierten Liberalismus« und übergeht die Partei »FDP«. Die Politikerin führt derzeit zusammen mit dem ehemaligen FDP-Chef Wolfgang Gerhardt und drei weiteren arrivierten Politikern die parteinahe Friedrich-Naumann-Stiftung. Sie will wohl andeuten, dass sich das liberale Establishment nicht geschlagen gibt und alte bundesrepublikanische FDP-Netzwerke vorerst außerhalb der Partei eine Heimat suchen - nämlich in der Naumann-Stiftung. Kubicki und Lindner dürften das natürlich einkalkuliert haben. Einige Abtrünnige fallen bei Visionen einer Bewegungspartei vermutlich kaum ins Gewicht.

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