In Minister Mielkes Jagdgebiet
Der Buchenwald Grumsin ist Weltnaturerbe und zieht jährlich tausende Besucher an
Die Baumkronen der Buchen sind so dicht, dass wenig Sonnenlicht hindurchdringt. Der Wald ist ein Urwald, märchenhaft, geheimnisvoll, ein bisschen gruselig. In der Slowakei, in der Ukraine und in Rumänien sind solche Buchenurwälder noch vorhanden. In Deutschland hat es sie einst gegeben, bevor die dichte Besiedlung und der Ackerbau diese Wälder lichteten.
590 Hektar im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin entwickeln sich jedoch wieder in den alten Zustand. Der Buchenwald Grumsin, 1990 teilweise zum Totalreservat erklärt und 2011 als Weltnaturerbe anerkannt, wird nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt. Bäume werden dort alt, sterben ab, brechen, bleiben als Totholz liegen und bieten zahlreichen Arten Lebensräume. Es wird Generationen dauern und Sensibilität erfordern, aber es kann gelingen.
»Der Grumsin. Allein dieser kraftvolle Name verrät, dass es sich beim Grumsiner Buchenwald um ein ganz besonderes Stück Natur handelt«, schwärmt Martin Krassuski, Vorsitzender des Vereins Kulturlandschaft Uckermark. »Wer zum ersten Mal dieses wilde Nebeneinander von alten Bäumen, steilen Hängen, urigen Mooren und Waldseen erlebt, kann erahnen, wie Mitteleuropa vor 2000 Jahren einmal ausgesehen hat.«
Die Buchen haben sich nach der letzten Eiszeit über Europa immer mehr nach Norden ausgedehnt. Sie haben dabei Mischwälder aus Eichen und Linden verdrängt und bewiesen, dass sie auf sehr unterschiedlichen Böden gedeihen können. Der Prozess läuft in Skandinavien noch weiter, während von dem dichten Gürtel aus Rotbuchen in Mitteleuropa nur noch wenig übrig geblieben ist.
Als der Grumsin im Juni 2011 von der UNESCO als Weltnaturerbe anerkannt wurde, haben in Altkünkendorf die Kirchenglocken geläutet und rund 100 Menschen stießen mit Sekt an. Aber nicht alle Anwohner freuten sich über die Nachricht. Für viele war klar, es wird künftig wohl nicht mehr möglich sein, die Verbotsschilder zu umgehen und im Totalreservat zu angeln oder Pilze zu sammeln. Denn für solche Heimlichkeiten wird der bis dahin wenig bekannte Grumsin nun zu berühmt sein. Aber die Einstufung als Weltnaturerbe eröffnete auch Chancen für eine Region, aus der die Jugend seit der Wende abgewandert war - auf der Suche nach Ausbildungsplätzen und Arbeitsstellen. Wenn die Touristen kommen, dann lassen sich Ferienwohnungen vermieten und Gaststätten profitabel betreiben, so die Hoffnung. Beschäftigung versprach auch die Führung von Besuchergruppen.
Tatsächlich kommen inzwischen pro Jahr tausende Gäste, besonders im Herbst, wenn sich die Blätter rot färben. Auf den ausgewiesenen Wanderwegen werden an einzelnen Tagen bis zu 160 Besucher gezählt. Noch sind das verträgliche Mengen. Doch wenn die Zahlen zunehmen, wenn es dereinst einen regelrechten Ansturm geben sollte, muss die Verwaltung des Biosphärenreservats bremsen, um Flora und Fauna die notwendige Ruhe zu lassen.
Der Buchenwald blieb über die Jahrhunderte erhalten, weil sich das Gelände mit steilen Hängen und sumpfigen Abschnitten wenig für die Landwirtschaft eignete. In der DDR war der Grumsin Sonderjagdgebiet von Staatssicherheitsminister Erich Mielke (SED). Das Betreten war verboten. Die Natur blieb deshalb relativ intakt, wenngleich sich in dieser Zeit zu viel Wild in der Gegend tummelte - so wie in anderen Sonderjagdgebieten auch.
Gejagt wird im Grumsin heute noch, aber nicht mehr in der klassischen Weise. Stattdessen wird nur an drei bis fünf Tagen im Jahr zur Büchse gegriffen und dann gleich sehr viel geschossen. Das läuft unter der Überschrift Wildmanagement und soll dafür sorgen, dass Rehe und andere Tiere nicht alle frischen Buchentriebe abknabbern. Der Wald soll sich natürlich verjüngen. Das alles und noch viel mehr ist nachzulesen in dem 2017 erschienenen Buch: »Grumsin. Weltnaturerbe im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin«.
Oft seien Besucher zunächst enttäuscht, heißt es. Sie sehen nicht, was den Grumsin gegenüber anderen Wäldern auszeichnet. Ihnen das zu erklären, dafür sind der Informationspunkt in Altkünkendorf und die Mitarbeiter der Naturwacht da, und dazu nun auch das Buch mit vielen schönen Bildern.
Beate Blahy, Martin Flade (Hrsg.): »Grumsin. Weltnaturerbe im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin«, Verlag Natur +Text GmbH Rangsdorf, 168 Seiten, 24,90 Euro
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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