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Die Unzufriedenheit und Wut gibt es weiter
Der Iran-Experte Adnan Tabatabai zu den abklingenden Protesten und deren wirtschaftlichen Ursachen
Das ist zu einfach, die Unruhen einfach für beendet zu erklären. Man hat vielleicht die Lage auf den Straßen wieder im Griff, gewissermaßen für Ruhe gesorgt. Aber diese Ideen, diese Unzufriedenheit, diese Wut, die gibt es weiter. Bei einigen mag es geholfen haben, dass Präsident Hassan Rohani relativ gut auf die Proteste reagiert hat.
Adnan Tabatabai ist Ko-Gründer der Nichtregierungsorganisation »Center for Applied Research in Partnership with the Orient« in Bonn. Er ist Lehrbeauftragter an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zur sozial- und politikwissenschaftlichen Betrachtung des Nahen und Mittleren Ostens und berät Bundesministerien und Bundestag. Mit ihm sprach Alexander Isele.
Foto: imago/Oryk Haist
Er hat zumindest einmal anerkannt, dass es gute Gründe für die Menschen gibt, auf die Straße zu gehen, und das Recht auf Demonstrationsfreiheit unterstrichen. Aber ich denke, der Großteil wird weiter mit derselben Wut im Bauch abends nach Hause gehen. Man muss jetzt abwarten, wie die kommenden Wochen und Monate werden, ob sich die Regierenden etwas einfallen lassen, um auf diese starke Unzufriedenheit bei diesem Teil der Bevölkerung einzugehen.
Der einflussreiche Staatskleriker Ahmad Chatami hat den Protestierenden gedroht und Präsident Rohani beschuldigt, für die Proteste verantwortlich zu sein. Wie ist das Verhältnis zwischen Hardlinern und Reformern und wie spiegelt sich das in den Protesten?
Das ist wie in jedem anderen politischen Kontext auch, wenn es einen gravierenden Missstand gibt: Die rivalisierenden politischen Fraktionen schieben sich gegenseitig die Schuld zu, ohne selbst Eingeständnisse zu machen. Die Hardliner kritisieren die Rohani-Regierung dafür, dass sie keine Wirtschaftspolitik macht, die den wirtschaftlich Schwachen zugute kommt.
Gleichzeitig wirft Rohani der Gegenseite vor, dass deren Populismus verantwortlich für die fürchterliche wirtschaftliche Situation ist. Subventionen - viele Haushalte bekommen monatlich mehr oder weniger Barzahlungen - stellen kurzfristig alle irgendwie zufrieden, führen aber mittel- und langfristig zu Inflation. Für die Protestierenden sind die verschiedenen Schuldzuweisungen völlig unbefriedigend: Es bringt sie nicht weiter. Sie brauchen eine politische Führung, die sich ihrer Probleme annimmt.
Ging es bei den Protesten nur um wirtschaftliche Themen? Nach dem Atomabkommen wuchs die Wirtschaft 2016 um 4,2 Prozent, vergangenes Jahr real um 6 bis 7 Prozent, nachdem sie 2015 noch um 1,5 Prozent geschrumpft war.
Schon in der Zeit vor der Entstehung der Islamischen Republik gab es eine Schicht wirtschaftlich benachteiligter Menschen, für die noch niemals Politik gemacht worden ist. Das hat sich über Jahrzehnte hinweg akkumuliert. Und dadurch, dass Wirtschaft und Politik im Iran so verästelt sind, äußert sich dann die wirtschaftliche Unzufriedenheit in hochpolitischen Slogans. Ich würde aber trotzdem immer daran erinnern, dass der Ursprung dieser Unzufriedenheit wirtschaftliche Probleme sind und diese auch der Schlüssel für eine Lösung sind.
Wie sieht diese Verästelung von Wirtschaft und Politik aus?
In Iran ist die Wirtschaft staatlich dominiert, die meisten Industrien sind von staatsnahen Unternehmen oder von Unternehmen im Staatsbesitz geleitet. Es gibt einen militärisch-industriellen Komplex, der einer der größten Arbeitgeber im Land ist. Öleinnahmen werden staatlich verwaltet. Die wichtigsten Sektoren, mit Ausnahme der Lebensmittelindustrie, sind staatlich kontrolliert.
Der Markt ist staatlich reguliert, selbst die privaten Unternehmen und Sektoren. Rohani möchte das mit seinem Wirtschaftsprogramm ändern. Er verfolgt einen ernstzunehmenden Ansatz der Privatisierung. Dennoch, das Wachstum hat nicht zu einer Umverteilung geführt. Es gibt leider keinen kausalen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und gerechter Umverteilung oder sozialer Gerechtigkeit.
Der Staatshaushalt für den Zeitraum von März 2018 bis 2019, den Rohani dem Parlament vorgelegt hat, sieht Kürzungen bei Subventionen für Lebensmittel und Sprit sowie Einschnitte bei Hilfsprogrammen für Arme vor. Wieso betreibt er gerade jetzt eine Sparpolitik?
In Iran gibt es keinen vernünftig erhobenen Zensus, es fehlt dem Staat die Kenntnis darüber, wer wirklich auf Subventionen des Staates angewiesen ist. Deshalb wurde eine Einkommensgrenze gezogen und gefragt, wer in diese Kategorie fällt. Viel zu viele Haushalte haben sich daraufhin als hilfsbedürftig gemeldet, obwohl sie es wahrlich nicht sind.
Genau diese sollen keine Subvention mehr bekommen. Viele, die derzeit protestieren, sind aber von der Streichung dieser Zahlungen bedroht, da sie deutlich unter der Einkommensgrenze liegen. Die allgemeinen wirtschaftlichen Missstände wie geringe Kaufkraft einzelner Bürger, Arbeitslosigkeit, die Unterbeschäftigung von Jugendlichen und von Frauen, wahnwitzige Korruption, das alles sind Probleme, die sich dann in den Protesten entladen...
... wo auch gerufen wurde: »Wir leben wie Arme, sie leben wie Fürsten.« Richten sich die Proteste direkt gegen Revolutionsführer Chameini und die Islamische Republik?
Ich denke, dass diese Slogans, die vor allen Dingen auf die soziale Ungleichheit hinweisen, sich nicht nur gegen Staatsleute, sondern auch gegen Privatpersonen richten, die ein extravagantes Leben führen, mit Maseratis und Porsches durch Teheran fahren, während sich andere nicht mal ein Motorrad leisten können. Die Proteste richten sich allgemein gegen soziale Ungerechtigkeit und die daraus resultierende Spaltung.
Die Islamische Republik mit ihrer Revolution 1979 hat soziale Gerechtigkeit versprochen, dass sie sich um die Belange der Entrechteten kümmert. Das ist quasi bis heute Staatsethos. Ich sehe keinen wirklichen Tipping-Point (Umkipppunkt) gegen die Islamische Republik, sondern eher einen fortwährenden Prozess, in dem ein Staat mal seiner Aufgaben gerecht wird und mal nicht.
CIA-Chef Mike Pompeo hat iranische Anschuldigungen zurückgewiesen, seine Organisation sei in die Proteste involviert. Was ist dran an den Vorwürfen?
Die Proteste sind ganz sicher eine inneriranische Angelegenheit, die aber natürlich von außen befeuert werden. Das rechtfertigt es aber mitnichten, die Demonstranten als Agenten der CIA zu stigmatisieren. Trumps Tweets sind ein gefundenes Fressen für die Staatsführung in Iran, was diese Tweets, neben den Aussagen von Benjamin Netanjahu, so verantwortungslos macht.
Welche Auswirkungen haben die Proteste international? Steigt die Gefahr einer Konfrontation mit Israel und Saudi Arabien?
Ich sehe da keinen wirklichen Zusammenhang, auch wenn den viele herbeibemühen.
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