Knallrot blinkt er vor dem Belziger Rathaus in der Frühlingssonne. Auf der Frontscheibe prangt die Nummer der Linie: 555. An jedem Wochentag startet der Bürgerbus pünktlich um 8.30 Uhr zur Fahrt in die 35 Kilometer entfernte Stadt Niemegk.
Heute steuert Burkhard Dahms den nagelneuen Nissan auf der Ostroute durch die Dörfer des Hohen Fläming. Der 49-Jährige ist einer von zwölf ehrenamtlichen Fahrern. Sie sind zwischen Anfang 30 und Mitte 60 und mit dem achtsitzigen Kleinbus unterwegs, weil es in dem dünn besiedelten Landstrich nicht einfach ist, von A nach B zu kommen. Oft fährt nur noch der Schulbus, der auch Erwachsene mitnimmt. Am Vormittag, am Wochenende und in den Ferien ist man hierzulande ohne Auto jedoch aufgeschmissen. Doch der Linienverkehr ist unrentabel und deshalb weitgehend eingestellt.
Auf dem Armaturenbrett liegen zwei Rollen Eintrittskarten. »Wie im Kino«, lacht Burkhard Dahms. Eine rote Rolle für die Kurzstrecke und eine blaue für die lange. Mindestens 1,50 Euro und höchstens 2,20 Euro müssen die Fahrgäste hinzählen. »Mehr als drei Dörfer ist bei uns Langstrecke«, sagt Dahms und fährt an den heute leeren Haltestellen vorbei.
Als der Bürgerbusverein Hoher Fläming im September 2006 anfing, sind nur 27 Leute pro Monat mitgefahren. Heute sind es 80. Das zeigt, dass sich der Bus erst herumsprechen musste. Es dauert, bis so etwas angenommen wird, meint Dahms. Er ist Einsatzleiter der Bürgerbuslinie, die als eine Art Subunternehmen der Belziger Verkehrsbetriebe nach einem genehmigten Fahrplan fährt. Morgens und abends, in den Schulferien auch mittags, rollt der Kleinbus zuverlässig auf einer 95 Kilometer großen Acht, in deren Schnittpunkt Belzig liegt.
Obwohl die Dienstpläne einen Monat im voraus erstellt werden, muss Dahms mitunter von heute auf morgen reagieren. »Einige von uns haben ja doch Arbeit oder wenigstens Minijobs, da kann es vorkommen, dass die nächste Ehrenamtsschicht ins Wasser fällt.« Oft springt er dann selbst ein.
Dahms ist Arbeitsuchender, hat derzeit eine geringfügige Beschäftigung in einer Fleischerei. Wenn er die Morgenrunde abgefahren ist, bleiben ihm zehn Minuten, um Klamotten und Arbeitsplatz zu wechseln. »Mein Chef ist sehr kulant, hat noch nie nein gesagt, wenn ich noch eine Bustour dranhängen musste.« Draußen fliegen Orte, Felder und Wälder vorbei. Dahms lehnt sich im Sitz zurück. »Ich genieße das Fahren durch die Landschaft, man nimmt die Natur wahr, sieht die Bäume sprießen. Das Grün auf den Feldern war selbst im Winter diesmal nicht verschwunden.« Den Spaß am Fahren teilt er mit den Vereinskollegen, die von Beruf Wald- oder Hafenarbeiter, Möbelverkäufer oder zum Beispiel auch Zugbegleiter sind. Manche fahren nur ein-, zweimal im Monat, Arbeitslose und Rentner beinahe täglich. »Es gibt viele Menschen, die etwas Sinnvolles tun wollen, statt zu Hause zu sitzen«, erzählt Dahms.
Auch nach der Kehrtwende im Zielort Niemegk ist noch niemand zugestiegen. »Normalerweise fahren morgens die älteren Leute mit, die zum Amt oder zum Arzt in die Stadt wollen, da haben wir richtige Stammkunden, die schon da stehen, das Geld abgezählt in der Hand«, berichtet Dahms. »Abends steigen dann meist Schüler ein, die auf den Dörfern Freunde besucht haben oder beim Sport waren und nach Hause wollen.«
Manchmal fährt der Bus auch leer. Eigentlich ein Zuschussgeschäft. »Das stimmt«, bestätigt der Einsatzleiter, »aber ein kleineres, als wenn die Verkehrsbetriebe einen Bus einsetzen würden.« Man hoffe auf den Sommer, die Touristen und Gäste der Reha-Klinik.
34 000 Euro beträgt der vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg zugestandene Jahresetat. Davon müssen nicht nur Diesel und Versicherungen bezahlt werden, sondern auch die amtsärztlichen Untersuchungen für die neuen Fahrer, die Personenbeförderungsscheine oder die notwendigen Umschreibungen der Führerscheine. Und zum monatlichen Fahrertreffen, wo der Dienstplan gemacht wird, soll es wenigstens für Brötchen und Kaffee reichen. Den 35 000 Euro teuren neuen Bus hat das Potsdamer Verkehrsministerium spendiert.
Sogar am Wochenende möchte der Verein fahren. Man will eine Touristenlinie einrichten, die zu den Burgen und anderen Sehenswürdigkeiten fährt. In der Tat ist der fehlende Personennahverkehr am Wochenende ein großes Manko. Der Naturpark Hoher Fläming und sein Zentrum in Raben sind zu den Hauptbesucherzeiten nur mit dem eigenen Auto oder dem Fahrrad erreichbar.
In Lühnsdorf, einem idyllisch in die Hügel gebetteten Dorf, wendet Dahms den Bus auf einem Feldweg. »Zwei Kilometer weiter in Buchholz könnte man prima um die Kirche herum fahren, aber dort ist fremdes Revier, das wir nicht befahren dürfen.« Das Dilemma: Obgleich private Busunternehmen die Bedarfslücken nicht decken, haben sie teilweise Einspruch gegen die befürchtete Übernahme der Strecke durch den Bürgerbus erhoben.
Das ältere Ehepaar, das in Baitz, dem letzten Halt vor der Rückankunft in Belzig, zusteigt, gehört zu den Stammgästen der Bürgerbuslinie. Das Paar bestaunt das neue Auto und auch die gerade fertig gestellte Straße in die Kreisstadt. »Wenn man kein Auto hat, kommt man nicht weit herum«, sagt der Mann. Sie wollen in der Stadt etwas erledigen, fahren mittags mit dem Schulbus zurück. »Wir könnten auch stündlich mit dem Zug nach Belzig fahren«, erklärt die Frau, »aber zum Bahnhof sind es fast zwei Kilometer zu laufen, also nichts für lahme Füße und olle Köppe.«
Am Belziger Bahnhof wartet schon Alexander Hammer-schmidt, einst Berufskraftfahrer im kasachischen Alma-Ata, nach Deutschland gekommen und jetzt arbeitslos. Hammerschmidt übernimmt die nächste Schicht, die Schleife Richtung Westen. Die Männer drücken sich kurz die Hand, Hammerschmidt springt auf den warmen Sitz. »In Preußnitz ist eine Sperrung, aber das erkläre ich dir später«, ruft Burkhard Dahms noch, dann rollt der rote Bus los und Dahms hat noch genau zehn Minuten Zeit, um in die Fleischerei zu eilen...
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