Jüdische Kinder von polnischen Eltern gerettet
Im Landtag werden 15 Schicksale von Holocaust-Überlebenden vorgestellt
»Todesstrafe, weil sie ein Kind beherbergte.« So ist ein Kapitel im 1965 erschienenen Braunbuch überschrieben, das dem Senatspräsidenten beim Bundespatentgericht Dr. Josef Ganser gewidmet ist. In seiner Position als Oberregierungsrat und Abteilungsleiter III der Hauptabteilung Justiz im »Generalgouvernement« hatte Ganser im Januar 1944 die Polin Anna Zwarycz an den Galgen gebracht, weil sie ein jüdisches Kind bei sich aufgenommen hatte.
Eine am Dienstagabend eröffnete Ausstellung im Landtag beweist, dass der teuflische Sinn aller Gansers dieser Welt Menschlichkeit niemals abtöten konnte. Unter dem Titel »Meine jüdischen Eltern, meine polnischen Eltern« widmet sich die Schau, die vor zwei Jahren auch im Foyer des nd-Gebäudes gezeigt wurde, dem Schicksal von rund 5000 jüdischen Kindern, die gerettet werden konnten, weil Polen sie bei sich versteckt hielten. Dies unter Lebensgefahr, wie der Abgeordnete Marco Büchel (LINKE) in seinen einführenden Worten betonte.
In Zusammenarbeit von Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro Warschau, und der polnischen Assoziation »Kinder des Holocaust« werden in der Ausstellung 15 Einzelschicksale von Menschen dargestellt, die zumeist erst als Erwachsene von ihrer Herkunft erfahren hatten. Die Einladung spricht von einer außerordentlich ergreifenden, sensibel umgesetzten Ausstellung. Die Vorsitzende der Luxemburg-Stiftung, Dagmar Enkelmann, erinnerte daran, dass von rund sechs Millionen in Zweiten Weltkrieg von den Faschisten ermordeten Juden die Hälfte polnische Staatsbürger waren. Die Ausstellung werde auch über den Internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar hinweg im Potsdamer Parlament zu sehen sein. Den Gedenktag hatte einst der damalige Bundespräsident Roman Herzog angeregt. Herzog machte allerdings auch mit dem fahrlässigen Satz auf sich aufmerksam, über Auschwitz wisse er nun wirklich alles, was es dazu zu sagen gebe.
Die Vorsitzende der Assoziation Joanna Sobolewska-Pyz gehörte zu den geretteten Kindern. Sie war am Dienstagabend in Potsdam dabei und schilderte ihr Schicksal. Im Unterschied zu den meisten anderen betroffenen Kindern weiß sie, dass sie am 31. Juli 1939 in Warschau geboren wurde und die ersten Lebensjahre im Ghetto verbracht hatte. Im April 1943 hatten ihre Eltern sie herausschleusen können - »schmutzig und verlaust, wie ich war«.
»Und das Wunder geschah.« Es fanden sich zweite Eltern für sie, »von denen ich alles bekam«. Die jüdischen Eltern trennten sich fast immer erst dann von ihren Kindern, wenn sie glaubten, ihrem Ende in der Gaskammer nicht mehr entrinnen zu können. »Lange habe ich angenommen, dass ich das einzige auf diese Weise gerettete Kind bin«, sagte Joanna Sobolewska-Pyz. Später gehörten der Assoziation »Kinder des Holocaust« rund 800 Mitglieder an. Aufgenommen wurde, wer zu Kriegsbeginn 13 Jahre oder jünger war. Musikalisch umrahmt war die Veranstaltung, an der auch Sozialministerin Diana Golze (LINKE) teilnahm, von der Gruppe »Manifest«. Der Ex-Bundestagsabgeordnete und Musiklehrer Harald Petzold (LINKE) sang jiddische Lieder »gegen das Vergessen«, und Sobolewska-Pyz sagte am Ende zu ihm: »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, werde ich Ihnen einen Kuss geben.«
Zu den Gästen des Abends gehörte auch Winfried Junge, Regisseur der Dokumentarfilmreihe »Die Kinder von Golzow«. Er habe erlebt, wie jüdische Kinder gefangen genommen wurden. »Von da an ging es in den Tod.« Verstanden habe er als minderjähriger Beobachter gar nichts: »Was hatten sie verbrochen?« In der DDR-Fernsehserie »Wege übers Land« wurde dargestellt, wie auch eine Deutsche, die in Polen angesiedelt werden sollte, ein verlassenes jüdisches Kind bei sich aufnahm.
In dem eingangs geschilderten Fall des Nazi-Juristen Ganser war die angeklagte Polin Anna Zwarycz, die ein jüdisches Kind retten wollte, zuvor sogar von einem deutschen Gericht freigesprochen worden. Erst Gansers Intervention führte zur Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem deutschen Obergericht Krakau und letztlich zu ihrer Verurteilung als »Schädling am deutschen Volk«. Aufgrund der Enthüllung in der DDR musste Ganser, dessen Karriere bezogen auf die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik nicht die Ausnahme, sondern die Regel war, in den Ruhestand versetzt werden. Mit für die 1960er Jahre beachtlichen 2400 D-Mark Pension monatlich.
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