Außen rot, innen weiß

SPD einigt sich im Sondierungspapier mit der Union auf konservative Politik

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

»Da wächst in der Erde leis das bescheidene Radieschen: außen rot und innen weiß«, dichtete einst Kurt Tucholsky über die SPD in der Weimarer Republik. Der Text hat mehr als 90 Jahre nach seiner Veröffentlichung nicht an Aktualität verloren. Während der fünftägigen Sondierungsgespräche mit der Union, die am Freitagvormittag im Willy-Brandt-Haus abgeschlossen wurden, haben die Sozialdemokraten die meisten ihrer Forderungen gestrichen, in denen ein sozialer Fortschritt angedeutet wurde.

Nur in einer wichtigen Gerechtigkeitsfrage sind CDU und CSU der SPD entgegengekommen. Künftig soll die gesetzliche Krankenversicherung wieder paritätisch von Beschäftigten und Unternehmern finanziert werden. Dafür haben die Sozialdemokraten auf eine Bürgerversicherung verzichtet. Auch bei der von ihnen angestrebten Erhöhung des Spitzensteuersatzes konnten sie sich nicht durchsetzen. Für Erwerbslose und Menschen, die ihre Mieten nicht mehr bezahlen können, hat Schwarz-Rot ebenfalls nichts zu bieten.

Mit dem von Konservativen und Sozialdemokraten vorangetriebenen transatlantischen Freihandelsabkommen CETA droht zudem eine Aushöhlung der Rechte von Arbeitern und Angestellten sowie von Umweltstandards und Verbraucherrechten. In ihrem gemeinsamen Papier kündigt Schwarz-Rot an, weitere internationale Abkommen dieser Art durchsetzen zu wollen.

Es ist verständlich, dass der Frust in der SPD-Linken tief sitzt. Denn bekennende Schröderianer wie der Vorsitzende Martin Schulz sitzen weiterhin an vielen Schalthebeln in der Partei und der Bundestagsfraktion. Sie sorgen dafür, dass die damals von Rot-Grün durchgesetzte neoliberale Politik die Leitlinie der SPD bleibt. Die Parteilinke und Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis empörte sich kürzlich, dass eine Senkung der Lohnnebenkosten unter 40 Prozent, die von den Sondierern favorisiert wird, eine Fortsetzung der Agenda-2010-Politik wäre.

Andrea Ypsilanti, einst Hoffnung linker Sozialdemokraten in Hessen, hat ihre Partei unlängst dazu aufgefordert, die Hartz-IV-Sanktionen abzuschaffen. In der SPD sind solche Forderungen, unabhängig von der Koalitionsfrage, derzeit nicht mehrheitsfähig. Erst kürzlich hatte ein Bundesparteitag kritische Anträge zu Hartz IV abgeschmettert.

Eine menschenwürdigere Flüchtlingspolitik steht bei der SPD ebenfalls nicht sonderlich hoch im Kurs. Seit die Sozialdemokraten vor 25 Jahren dem sogenannten Asylkompromiss zugestimmt haben, sind sie immer an vorderster Front mit dabei, wenn es darum geht, die Rechte von Schutzsuchenden zu schleifen. Nun ist die SPD grundsätzlich dazu bereit, gemeinsam mit CDU und CSU eine grundgesetzwidrige Obergrenze für die Aufnahme von Asylsuchenden festzulegen. Die AfD wird sich derweil die Hände reiben. Denn Schwarz-Rot lässt sich einmal mehr von Forderungen der von Neofaschisten dominierten Partei in der Asylpolitik treiben.

Die Union könnte in einer erneuten Großen Koalition darauf hoffen, nicht weiter in der Wählergunst zu sinken und durch eine harte Innen- und Asylpolitik zumindest einen Teil der rechtskonservativen Wählerschaft an sich zu binden.

Eine SPD, die sich immer weiter davon entfernt, sozialdemokratische Politik zu machen, wird hingegen in absehbarer Zukunft kein Mensch mehr brauchen. Ihr Abschneiden bei der Bundestagswahl, als sie nur noch 20,5 Prozent der Stimmen erhielt, und der Niedergang zahlreicher sozialdemokratischer Schwesterparteien in Europa sollten eigentlich als Warnungen ausreichen. Doch die Führung der SPD ignoriert diese Anzeichen und schreitet ihrem Untergang entgegen. Ihre Unterhändler haben bei nur einer Enthaltung für die Annahme des Sondierungspapiers gestimmt und ebenso wie die Union ihren Gremien schwarz-rote Koalitionsverhandlungen empfohlen. Im Vorstand der Sozialdemokraten gab es nach einer kontroversen Debatte sechs Gegenstimmen.

Nun kann die SPD nur noch von ihrer eigenen Basis gerettet werden. Die erste Chance hierfür bietet sich am Sonntag in einer Woche beim Bundesparteitag in Bonn. Dann können die Genossen die Aufnahme von Koalitionsgesprächen ablehnen und Neuwahlen im Bund erzwingen. Nur unter diesen Voraussetzungen ist es überhaupt denkbar, dass sich die Partei erneuert und zu einer linken Politik zurückkehrt. Dann könnte sie auch zeigen, dass sie anders sein kann als die Radieschen in dem Gedicht von Kurt Tucholsky.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.