Das Leben ist absurd, und doch macht man weiter
Alejandro Zambra: In seinem Band »Ferngespräch« erzählt er melancholische Geschichten
Die letzten beiden Geschichten sind die traurigsten. Es sind Geschichten, die von denen handeln, die »nichts« sind, »niemand«, wie Consuelo am Ende von »Familienleben« ihrem Mann Bruno antwortet, als der danach fragt, wer an der Tür war. Es war Paz, die erwartet hatte, dass Martín ihr öffnet. Martín, der während der Abwesenheit des Literaturprofessors und seiner Familie das Haus gehütet hatte, der sich während dieser Zeit in Paz verliebte und ihr erzählte, er würde dort wohnen, hätte sich nur gerade von seiner Frau getrennt. Martín ist bereits über vierzig, aber das Leben in dem großen, schönen Haus ist noch ein Ereignis für ihn. Er erzählt die Lügengeschichte, um mit Paz für einen Moment zu vergessen, dass er nicht mal richtig Auto fahren kann.
In »Gedächtnisübung«, einer anderen Geschichte in Alejandro Zambras Band »Ferngespräch«, bringt Yasna ihren Vater nicht um, obwohl sie allen Grund dazu hätte. Doch ihr ehemaliger Klassenkamerad, der inzwischen ein Schriftsteller ist, soll eine Kriminalgeschichte über eine Frau schreiben, die ihren Vater umgebracht hat. »Vor einigen Jahren«, sagt der Erzähler, »vor zehn, fünfzehn Jahren, vor dreißig auf jeden Fall, hätte man die ganze Geschichte erzählen, das Geheimnisvolle daran wahren, die dramatischen Effekte klug verteilen, für eine allmählich wachsende, beklemmende Spannung sorgen müssen.« Alle Autoren hätten es damals nicht für unmoralisch gehalten, die Wirklichkeit so zu verdrehen, sie »genossen es sogar, da es immer eine Art Vergnügen bereitet, eine Geschichte zu gestalten«. Aber der Schriftsteller, der nicht der Erzähler ist, setzt sich am Ende hin und schreibt von einer Tochter, die ihren Vater erschießt, und einem Inspektor, der den Fall aufklären soll, sich aber in die Täterin verliebt. Er schreibt die Geschichte, obwohl er weiß, dass sie so nicht stimmt. In Wirklichkeit, das heißt auf der Ebene des Erzählers, endet die Geschichte ganz banal - der Vater stirbt an Krebs - und damit unendlich traurig. Viel trauriger jedenfalls als die Geschichte des Schriftstellers, in der die Tochter am Ende in der Zelle auf ihr Essen wartet.
In allen Erzählungen von Alejandro Zambra ist das Bewusstsein präsent, Geschichten nicht mehr so erzählen zu können wie noch vor zwanzig Jahren. In »Erinnerungen eines Personal Computers« erhält das Scheitern des Protagonisten in Sachen Liebe und Familie eine irritierende Note, weil nicht er der wirkliche Held der Geschichte ist, sondern sein Computer, das einzige Kontinuum in seinem Leben, das ihn von Jahr zu Jahr, von Beziehung zu Beziehung, von Wohnung zu Wohnung begleitet, um am Ende genauso lieblos zu enden, wie alles im Leben dieses Mannes.
Alle Erzählungen in »Ferngespräch« haben etwas Existenzialistisches. Das Leben ist absurd, aber im Sinne von Camus’ Revolte gegen diese Einsicht machen Zambras Antihelden einfach weiter. Wie Sisyphos schieben sie den Stein des Lebens immer wieder den Berg des Erfolgs und des Glücks hinauf, um danach zusehen zu müssen, wie er wieder runterrollt.
Es sind melancholische Geschichten, in denen es kein Happy End gibt, und trotzdem liest man sie gerne, vielleicht, weil es dem chilenischen Autor gelingt, ein Lebensgefühl auszudrücken, das man selbst nicht immer hat, das einen aber angesichts der Entwicklung der Wirklichkeit immer öfter heimsucht. Zambras Kunst besteht darin, für dieses Lebensgefühl immer neue Geschichten zu erfinden und sie dann auf neue und wahre Weise zu erzählen.
Alejandro Zambra: Ferngespräch. Stories. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Suhrkamp, 237 S., geb., 22 €.
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