Verschlüsselte Proteste

»Sichere« Messengerdienste sind zu einem wichtigen Werkzeug organisierter Proteste in Iran geworden

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Streit um die restriktive Zensurpolitik des iranischen Regimes haben die Reformkräfte um Präsident Hassan Ruhani unlängst einen wichtigen Teilerfolg für sich einfahren können. Der von der Justiz gesperrte Kommunikationsdienst Telegram wurde am vergangenen Wochen- ende wieder freigegeben, meldete die iranische Nachrichtenagentur ISNA. Die Sperrung der beliebten App hatte landesweit scharfe Kritik ausgelöst.

Telegram war auf Betreiben der konservativen Hardliner im Justizapparat gesperrt worden, weil er sich offenbar bei den jüngsten regimekritischen Protesten äußerster Beliebtheit seitens der DemonstrantInnen erfreute. Bilder und Videos von den Protesten wurden über Telegram-Shortlinks wie den Kanal »Sedaie Mardom« (die Stimme der Menschen) - auch bekannt als AmadNews - ebenfalls von internationalen Medien zur Berichterstattung verwendet, zumal JournalistInnen zeitweise der Zugang zu den regimekritischen Protesten von der iranischen Administration untersagt wurde.

Zwar etablierte sich Telegram, nebst Fotodienst Instagram, zum wichtigsten Informations- und Kommunikationsmedium während dieser Proteste, blieb aber nicht gänzlich verschont von Falschmeldungen. Hardliner in den Reihen des Regierungsapparates bezeichneten gar die in sozialen Medien verbreiteten Informationen als Einmischung und Propaganda westlicher Geheimdienste. Die staatliche Nachrichtenagentur ISNA hingegen sprach von »konterrevolutionären Elementen«, die über die sozialen Netzwerke aufgehetzt wurden. Im Gegenzug veröffentlichte das staatliche Fernsehen Bilder von Demonstrationen, die sich gegen die Proteste und offenbar für das konservative Regime aussprachen.

Rund die Hälfte der 80 Millionen IranerInnen nutzen laut Statistiken der UNO den Messengerdienst. Gemessen an den 48 Millionen Smartphone-BesitzerInnen im Land eine überwältigende Anzahl.

Ein Grund für die Monopolstellung des Konzerns könnte sein, dass die App auch bei langsamem Internet funktioniert. In dem Land ein nicht unwesentlicher Faktor, zumal die Regierung in der Vergangenheit bei Bedarf immer wieder das Internet - zeitweise auch Mobilfunk - drosselte oder ganz sperrte, so geschehen beispielsweise infolge von Protesten der Opposition nach der Präsidentschaftswahl 2009.

Der Iran betreibt seit Jahren ein striktes Online-Überwachungs und -Zensurprogramm. Internetseiten wie Facebook, YouTube oder Amnesty International sind größtenteils nicht frei zugänglich. Nach China blockiert das Land laut der Menschenrechtsorganisation »Reporter ohne Grenzen« die meisten Internetseiten weltweit und zählt damit als eines von 13 Ländern zum »Feind des Internets«. Derzeit befindet sich das Land laut »Reporter ohne Grenzen« im Ranking um Medien- und Pressefreiheit auf Platz 165 (von 180).

Ein weiterer Grund für die Beliebtheit der App könnte darin liegen, dass der Dienst lange Zeit nicht von der Regierung blockiert wurde. Außerdem unterstützt der Messenger das persische Schriftzeichen-System.

Ein zusätzlicher, nicht unwesentlicher Punkt ist, dass Telegram kein US-amerikanisches Unternehmen ist, sondern von den russischen Brüdern Nikolai und Pawel Durow entwickelt wurde, die auch schon die russische Facebook-Alternative »vk.com« gründeten.

Im Zuge der Proteste im Land gerieten die beiden Telegram-Gründer jedoch massiv in die Kritik, nachdem sie der Aufforderung der iranischen Regierung nachkamen und den Telegram-Kanal von AmadNews blockierten. Zuvor sollen über den Kanal Aufrufe zu Gewalt verbreitet worden sein. Der Konzern rechtfertigte den Schritt zwar mit dem Verweis auf seine Nutzungsbedingungen, gleichzeitig löste die Aktion jedoch Zweifel an der Unabhängigkeit des Messengers aus.

DatenschützerInnen bezeichnen jedoch schon seit Längerem Telegram als unsicheren Dienst und warnen eindringlich davor, vertrauliche oder sensible Inhalte zu versenden. Selbst die bislang als verschlüsselt geltende »Geheimchat-Funktion« halte nicht das, was sie verspreche, heißt es. Wie Netzpolitik.org berichtet, soll es dem Bundeskriminalamt (BKA) im Zuge der Ermittlungen um die rechtsextreme »Oldschool Society« im Jahr 2016 mindestens 44-mal gelungen sein, Zugriff auf Nachrichteninhalte von Telegram zu erhalten. Es ist umstritten, ob das Vorgehen des BKA legal war.

Außerdem gab es im selben Jahr Berichte, wonach iranische HackerInnen mehr als ein Dutzend Telegram-Accounts geknackt hätten. Es sollen zudem mindestens 15 Millionen Telefonnummern von damals noch rund 20 Millionen NutzerInnen im Iran durch die HackerInnen identifiziert worden sein, wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf das Unternehmen selber berichtet.

Mit den Worten »Es kann nicht sein, dass es für die Verfolgung von Straftaten faktisch rechtsfreie Räume gibt«, rechtfertigte Innenminister Thomas de Maizière unterdessen im Juni vergangenen Jahres die Ausweitung der Überwachung von Messengerdiensten durch die neue Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). Beschlossen wurde das sogenannte TKÜ-Gesetz auf der Konferenz der Innenminister für Bund und Länder, womit Behörden künftig auch bei Diensten wie dem (noch) als größtenteils sicher geltenden »Signal« mitlesen können. Mit einer Software kann laufende Kommunikation auf einem infizierten Gerät mitgelesen werden, bevor diese verschlüsselt wird.

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