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SPD-Linke warnt vor Austrittswelle
Der erneute Gang in eine Große Koalition könnte für die Sozialdemokraten fatale Folgen haben
Der Ton zwischen Befürwortern und Gegnern einer Großen Koalition in der SPD wird kurz vor dem Bonner Bundesparteitag am Sonntag rauer. In einem Interview mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe warf Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert vor, Unwahrheiten über die schwarz-roten Sondierungsergebnisse zur Rente zu verbreiten. Auf welche Aussage sich Nahles konkret bezog, sagte sie nicht.
Am Donnerstagvormittag konterte Kühnert bei einem Pressegespräch im Berliner Willy-Brandt-Haus. Er wies die »Anwürfe« zurück, ohne den Namen von Nahles zu nennen. »Wir sind mit uns im Reinen«, erklärte der Jungsozialist. Er bleibe dabei, dass in der Rentenpolitik kein großer Wurf gelungen sei. Union und SPD hatten sich unter anderem darauf geeinigt, das Rentenniveau bis 2025 bei 48 Prozent zu halten. Zudem wollen sie eine neue Grundrente für Geringverdiener mit längerer Erwerbsbiografie einführen. Sie sollen im Alter etwas mehr als das Sozialhilfeniveau erhalten.
Kühnert ist nicht nur mit diesen Punkten unzufrieden. Er hätte sich außerdem Maßnahmen gegen die Vermögensungleichheit sowie die Einführung einer Bürgerversicherung gewünscht. Diese Themen sollen nach der schwarz-roten Vereinbarung in einer erneuten Großen Koalition nicht angegangen werden. Der Juso-Chef rief deswegen die Delegierten dazu auf, am Sonntag gegen die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der Union zu stimmen. »Das Abstimmungsergebnis ist offen«, sagte Kühnert. Zudem wies er darauf hin, dass sozialdemokratische Parteien auch verschwinden könnten. Das sehe man zum Beispiel im europäischen Ausland. »Die SPD wird noch gebraucht«, erklärte Kühnert.
Noch deutlicher waren am Donnerstagmorgen die linken SPD-Bundestagsabgeordneten Hilde Mattheis und Marco Bülow geworden. Sie sagten vor Journalisten, dass eine Austrittswelle aus der SPD drohen könnte, wenn es zu einer neuen Großen Koalition kommen sollte. Mattheis sagte, sie sei in Sorge, »dass viele sehr resigniert die Partei verlassen werden«. Bülow erklärte: »Die Angst, dass uns viele von der Fahne gehen und die SPD geschwächt wird, die haben wir.« Für die beiden Abgeordneten ist stattdessen die Duldung einer von der Union geführten Minderheitsregierung eine Option. Kanzlerin Angela Merkel lehnt diese aber ab.
Wenn es auf dem Bonner Parteitag eine knappe Mehrheit für Koalitionsgespräche geben sollte, würden Mattheis und Bülow dafür plädieren, den Mitgliederentscheid über das Verhandlungsergebnis mit der Union vorziehen, »um die Partei einigermaßen zusammenzuhalten«. Sie gehen davon aus, dass eine Erneuerung der SPD in einem erneuten schwarz-roten Bündnis nicht möglich wäre.
Die meisten anderen SPD-Bundestagsabgeordneten, die sich ebenfalls dem linken Flügel zuordnen, vertreten eine andere Haltung als Mattheis und Bülow. Die Parlamentarische Linke (PL) in der SPD-Fraktion ist nach Auskunft ihres Sprechers Mattias Miersch mit großer Mehrheit dafür, mit CDU und CSU über eine Koalition zu verhandeln. Bei einer Abstimmung in dieser Woche hätten etwa 90 Prozent der mehr als 60 Anwesenden dafür gestimmt, sagte Miersch. Die PL hat 86 Mitglieder. Miersch sagte stellvertretend für die Mehrheit der Flügelorganisation, dass am Ende die SPD-Basis über das Verhandlungsergebnis entscheiden solle. Dies ist ohnehin vorgesehen. Jetzt müsse die Partei zusammenbleiben, und alle Mitglieder müssten mitgenommen werden, so Miersch.
Andere Sozialdemokraten versuchen, die Delegierten mit Versprechen zu ködern, die wohl niemals eingehalten werden können. Der Landesvorstand der hessischen SPD empfahl seinen Delegierten, für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu stimmen. Bei diesen Verhandlungen müssten aber noch erkennbare Fortschritte bei der Überwindung der Zwei-Klassen-Medizin sowie eine weitreichendere Härtefallregelung für den Familiennachzug von Flüchtlingen erreicht werden, teilten die Sozialdemokraten mit. Für den Beschluss habe es zehn Ja- und drei Nein-Stimmen sowie zwei Enthaltungen gegeben. Der hessische Landesverband reist mit 72 Delegierten nach Bonn. Die Landesverbände der SPD sind in der Koalitionsfrage gespalten.
Anders als die hessischen Sozialdemokraten dämpfte Kühnert die Erwartungen an mögliche Koalitionsverhandlungen. »Da werden noch einige Punkte konkretisiert. Aber eine Bürgerversicherung ist nicht mehr durchsetzbar«, sagte er.
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