Berufssohn
Personalie
Es gab eine Zeit, da galt im Kulturjournalismus noch, dass es in der Kunst nicht etwa um Leben und Tod gehe, sondern um viel mehr. Davon ist wenig übrig. Der Neoliberalismus hat das Nützlichkeitsdenken zum Naturgesetz verklärt. Kaum eine Arbeit jenseits wirtschaftlicher Verwertbarkeit ist mehr gern gesehen. Den Rest erledigt die postmoderne Kulturhegemonie, die lange schon den Tod des unironischen, apodiktischen Autors fordert und eine Argumentation vor allem nach ihrem moralischen Gehalt beurteilt.
Wie unerwartet und wundersam da die Wucht der Debatte um Simon Strauß gerade die auch sprachlich oft zum »Kulturteil« degradierten Feuilletons wiederbelebt! Strauß ist Ende zwanzig, und er arbeitet als Theaterkritiker für die »FAZ«. Im vergangenen Sommer hat er das Essaybuch »Sieben Nächte« veröffentlicht. Darin raunt und greint und säuselt ein junger Mann, »seine« Generation sei so wohlstandsbesoffen, dass ihr Leben einfach keine sinnliche Bedeutung mehr finde. Wo sich zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts kriegslüsterne Literaten nach einem »Stahlbad« sehnten, da wünscht sich Straußens Erzähler ein »heroisches Zeitalter«. Die Frage, über die in den Zeitungen gerade endlich mal wieder fundamental gerungen wird, lautet: Ist dieser politromantische Ansatz eine künstlerische Haltung?
Putzig, dass ausgerechnet ein offensichtlich gelangweilter Berufssohn die Journalisten kurzzeitig von ihrer ritualisierten Wohlfühlwarte wegzieht. Simon Strauß ist der Spross des Schriftstellers Botho Strauß, der das rechtslastige Raunen in den Debattenzwischenräumen seit den Neunzigern great again machen möchte.
Von seinem alten Herrn hat Simon Strauß sich abgeschaut, wie man im Ungefähren bleibt und trotzdem von sich reden macht. Zum Glück erhielt Strauß junior für seine Recherchen zu dem Holocaust-Überlebenden Rolf Joseph jetzt den »German Jewish History Award«. Das verdrängt aus der bislang erstaunlich kontroversen Debatte jene Moral, mit deren Hilfe etwa die »taz« Simon Strauß zum personifizierten Untergang des liberalen Abendlandes überhöhte.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.