Werbung

Die Staatsanwälte und die rechte Gewalt

Rosa-Luxemburg-Stiftung prämierte eine Masterarbeit zum NSU-Komplex und zum Oktoberfest-Attentat

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor drei Jahren ergab die Nachprüfung aller einschlägigen Tötungsdelikte in Brandenburg, dass es seit 1990 nicht etwa nur neun Todesopfer rechter Gewalt gegeben hat, sondern dass 18 Menschen durch Neonazis ermordet worden sind. Der heutige Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hatte noch in seiner alten Funktion als Innenminister im Jahr 2013 die Nachkontrolle mit dem für Justiz und Polizei beschämenden Ergebnis angeordnet, weil gerade in Brandenburg die statistischen Angaben der Behörden und die Zählungen des Vereins Opferperspektive extrem auseinanderklafften.

Doch das Problem, dass im Falle rechter Gewalt nicht selten eine merkwürdige, unerklärliche und unerhörte Antriebslosigkeit von Strafverfolgungsbehörden zu beobachten ist, das blieb offenbar bestehen. Darauf wies der Landtagsabgeordnete und Ex-Justizminister Volkmar Schöneburg (LINKE) hin, als er die Laudatio auf die beiden diesjährigen Preisträgerinnen der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg hielt. Im Potsdamer Filmmuseum war am Montagabend eine Masterarbeit von Isabella Greif und Fiona Schmidt ausgezeichnet worden. Die Studentinnen der Berliner Humboldt-Universität hatten das Verhalten der Staatsanwaltschaften beleuchtet: beim NSU-Komplex und auch beim Oktoberfest-Attentat, als durch die Explosion einer Rohrbombe am 29. September 1980 in München 13 Menschen getötet und 211 verletzt worden waren. Greif und Schmidt gelangten zu teilweise erschütternden Ergebnissen.

Schöneburg, der dem Auswahlkuratorium der Luxemburg-Stiftung vorsitzt, zitierte den Publizisten Ralph Giordano, der angesichts des Umgangs mit dem NSU-Terror von »Blindheit bis hin zur Komplizenschaft« gesprochen habe. Schöneburg sagte, es seien 40 Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in der Umgebung dieser Verbrecherbande platziert gewesen, »ohne, dass ein Mord verhindert worden wäre oder aufgeklärt worden ist«. Die Staatsanwaltschaft, die sich so gern als »Kavallerie der Justiz« geriere, behaupte nach wie vor gegen vielerlei Beweise, das NSU-Trio sei »weitgehend isoliert« gewesen. Schöneburg verwies auf ein Beispiel, wo eine Gruppe Neonazis nachgewiesenermaßen Strukturen des Ku-Klux-Klan aufbauen wollte und die Staatsanwaltschaft dennoch das Verfahren gegen sie eingestellt habe. In einem weiteren Fall hatte die Polizei bei einer Hausdurchsuchung Waffen gefunden. Das Ansinnen, ein Verfahren einzuleiten, sei von der Bundesanwaltschaft abgelehnt worden.

Mit Blick auf die von der Luxemburg-Stiftung geehrte Masterarbeit der beiden jungen Frauen sprach Schöneburg von staatsanwaltschaftlicher Strategie, die »letztlich zur Verharmlosung von rechtsextremistischer Gewalt« führe. Methode dabei sei, die Ideologie der Täter nicht zu erwähnen, die Täter aus ihrem rechtsextremistischen Sinnzusammenhang herauszulösen.

Preisträgerin Isabella Greif sprach im Ergebnis ihrer Untersuchung von einem »verharmlosenden Umgang der Strafverfolgungsbehörden« mit rechtsextremen Gewaltstraftaten. Nicht selten seien Opfer zu Tätern gemacht worden. Gerade im Falle der NSU-Mordserie war den Opfern öffentlich vorgeworfen worden, mafios verstrickt und damit quasi selbst schuld gewesen zu sein. Nach einem Dutzend Untersuchungsausschüssen und rund 400 gerichtlichen Verhandlungstagen in Sachen NSU sind laut Preisträgerin Greif zentrale Fragen unbeantwortet geblieben: Welches Netzwerk hat dies ermöglicht? Gibt es Mittäter? Was wussten die Sicherheitsbehörden, deren Mitarbeiter im unmittelbaren Umfeld der NSU-Verbrecher eingesetzt waren. Für Isabella Greif »stellt sich die Frage nach dem staatlichen Aufklärungswillen«. Die deutsche Öffentlichkeit müsse zur Kenntnis nehmen, »dass die Deckung von V-Leuten über dem Ziel der Aufklärung steht«. Längst überfällig sei eine aktive Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Bundesanwaltschaft. Ehemalige und aktive Mitarbeiter der Behörden sollten endlich ihr Schweigen brechen.

Die Masterarbeit »Staatsanwaltlicher Umgang mit rechter und rassistischer Gewalt. Eine Untersuchung struktureller Defizite und Kontinuitäten am Beispiel der Ermittlungen im NSU-Komplex und dem Oktoberfest-Attentat« kann bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung bestellt werden. Isabella Greif und Fiona Schmidt teilen sich das Preisgeld von 500 Euro und erhalten je 15 Freiexemplare.

Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg, Dortustraße 53 in 14 467 Potsdam, Tel.: (0331) 817 04 32, www.brandenburg. rosalux.de

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.