Brasiliens Linke mobilisiert
Soziale Bewegungen solidarisieren sich mit Luiz Inácio »Lula« da Silva
Es sind Bilder, die man von ihm kennt: Nachdem drei Bundesrichter am Mittwoch das Urteil gegen Luiz Inácio »Lula« da Silva bestätigten, hielt der brasilianische Ex-Präsident noch am Abend eine emotionale Rede vor tausenden Anhängern in São Paulo. Im ganzen Land gingen zeitgleich Brasilianer auf die Straße. In mehreren Städten errichteten Aktivisten Straßenblockaden. Die größte Demonstration fand in Porto Alegre statt, wo in Abwesenheit von Lula das Urteil gesprochen wurde.
Wochenlang hatten die Arbeiterpartei PT und Gewerkschaften zu der Urteilsverkündung in die südbrasilianische Metropole mobilisiert. Die von der bürgerlichen Presse heraufbeschworenen Auseinandersetzungen blieben aus.
Bei den Protesten vorne dabei: die sozialen Bewegungen. Die Koordinatorin der Wohnungslosenbewegung MTST, Jussara Basso, sagte dem »nd«: »Für uns ist das Urteil die Fortführung des Putsches. Während Lula ohne Beweise verurteilt wurde, sitzt Präsident Temer weiterhin fest im Sattel. Und das, obwohl bewiesen ist, dass er korrupt ist.« Auch Marcieli Ramos von der Kleinbauernbewegung MPA meint: »Nicht Lula wurde verurteilt, sondern die brasilianische Bevölkerung.«
Fast alle sozialen Bewegungen riefen zu Protesten gegen das Lula-Urteil auf. Dabei ist ihre Beziehung zur PT ambivalent. Im Jahr 2002 hatten soziale Bewegungen maßgeblichen Einfluss daran, dass der ehemalige Gewerkschaftsführer Lula in seinem vierten Anlauf zum Präsidenten gewählt wurde. Der große Wandel blieb nach der Wahl allerdings aus: Lula setzte auf keinen radikalen Bruch des Status quo. Anstatt grundlegende Reformen durchzuführen, wurden die Pfründe des Rohstoffbooms etwas gerechter verteilt. Durch die Sozialprogramme stiegen Millionen Brasilianer aus der Armut auf. Allerdings: Die PT ging bald im System auf und Lula wurde zum Liebling der wirtschaftlich Mächtigen.
Ein neoliberales Wachstumsdogma setzte sich in der Partei durch. Umstrittene Großprojekte und das staatlich hofierte Agrobusiness zerstörten weite Teile des Lebensraumes von indigenen Gemeinden und Kleinbauern. Bei vielen Linken kam das nicht gut an. Die von der PT ins Land geholten Megaevents sorgten für Unmut bei städtischen Bewegungen. In der Folge gingen etliche Linke auf Distanz zur PT-Regierung. Ehemalige Politiker kehrten der Partei den Rücken und gründeten die Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL). Die PT-Linksabspaltung ist vor allem bei den jungen, gebildeten Städtern beliebt. Als PSOL-Präsidentschaftskandidat für die Wahlen 2018 wird der Aktivist Guilherme Boulos gehandelt. Der 36-Jährige ist Chefstratege der Wohnungslosenbewegung MTST und scharfer Kritiker des Neoliberalismus. Eine realistische Chance rechnet ihm allerdings kaum jemand zu. Nur der charismatische Lula weiß es, die breite Bevölkerung hinter sich zu versammeln. Die Linke hat in den vergangenen Monaten daher vor allem auf die Lula-Karte gesetzt. Nun ist diese Option stark in Gefahr.
Doch die Not nährt Hoffnung. Bereits nach dem juristisch fragwürdigen Amtsenthebungsverfahren von Dilma Rousseff im Jahr 2016 gelang etwas, was die Linke lange Zeit zuvor nicht schaffte: ein Schulterschuss von Parteien, Gewerkschaften und soziale Bewegungen. Ein Vorbild für 2018? Viele Bewegungen erklärten nach dem Urteil gegen Lula, ihre Aktionen auszuweiten. Die Landlosenbewegung MST versprach, einen Generalstreik durchzuführen. »Jetzt erst recht: Wir werden auf die Straße gehen und wenn nötig das Land stoppen«, sagte die Aktivistin und Kleinbäuerin Marcieli Ramos. Gründe zum Protest gibt es genug. Die Amtsübernahme von Michel Temer führte zu einer politischen Zeitenwende. Die Mitte-rechts-Regierung setzt mit Hochdruck eine neoliberale Wende um. »Temer baut alle Rechte ab, die wir uns über Jahrzehnte erkämpft haben«, sagte Basso von der MTST. Es steht viel auf dem Spiel im größten Staat Lateinamerikas. Da es keine wirkliche, linke Alternative gibt, befürchten viele Brasilianer Schlimmes für die Wahl im Oktober.
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