Zwischen Flügelkonflikt und Neuanfang

Ein neues Spitzenduo sowie ein neues Grundsatzprogramm sollen die Grünen attraktiver machen.

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Zum Abschied wurde in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Berlin-Mitte gefeiert. Die Mitarbeiter hatten eine Discokugel aufgehängt, der scheidende Parteichef Cem Özdemir durfte die Musik aussuchen und es flossen kalte Getränke. Die Ko-Vorsitzende Simone Peter, die sich ebenfalls aus der Parteispitze zurückziehen wird, erklärte wehmütig: »Hätten wir das doch vorher mal gemacht.« Die Atmosphäre zwischen ihr und Özdemir war während ihrer rund vierjährigen Zusammenarbeit nicht immer sonderlich feierlich. So hatte Peter ihren Kollegen einmal aufgefordert, sich teamfähiger zu verhalten. Auch wegen inhaltlicher Fragen - unter anderem zur Flüchtlingspolitik - hatte es zwischen dem Realo und der eher linken Grünen immer wieder geknistert.

Nun soll alles anders werden. Bei ihrem Parteitag werden die Grünen an diesem Samstag in Hannover zwei neue Vorsitzende wählen. Nachdem die Partei in den vergangenen Jahren ihre Wahlziele, ein zweistelliges Ergebnis sowie die Beteiligung an einer Bundesregierung, nicht erreicht hatte, kommt der Wechsel an der Spitze nicht sonderlich überraschend. Recht kompliziert ist aber das Prozedere. Zunächst wird die Frage geklärt, ob sich der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck zur Wahl stellen wird. Dafür müssten die Delegierten per Beschluss die Satzung ändern. Denn Habeck will sein Ministeramt in Kiel vorerst behalten. Um die bei den Grünen festgelegte Trennung von Amt und Mandat weiter aufzuweichen, ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig. Favorisiert wird die Variante, dass Habeck acht Monate lang eine Doppelfunktion in Berlin und Schleswig-Holstein ausübt und anschließend nur noch Chef der Grünen sein wird.

Wenn Habeck diese Übergangszeit nicht gewährt wird, ist es möglich, dass er zurückzieht und der Europaabgeordnete Sven Giegold für den Parteivorsitz kandidieren wird. Bei der Vorstandswahl werden zunächst die brandenburgische Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock und die niedersächsische Fraktionschefin Anja Piel um den Frauenplatz gegeneinander antreten. Danach wird der zweite geschlechtsunabhängige Platz in der Doppelspitze gewählt. Sollte Piel gegen Baerbock unterliegen, hat sie bereits angekündigt, nicht gegen Habeck kandidieren zu wollen. Offensichtlich rechnet sie sich gegen den prominenten und rhetorisch begabten Politiker keinerlei Erfolgschancen aus.

Hintergrund der Wahl sind jahrelange Flügelauseinandersetzungen bei den Grünen. Das Abkommen von Realos und Parteilinken, die Chefposten paritätisch untereinander aufzuteilen, wurde von den Realos aufgekündigt. Möglich ist nun, dass sich der eine Flügel gegen den anderen durchsetzen wird. Piel und Giegold zählen zu den eher linken Grünen. Habeck und Baerbock werden den Realos zugerechnet.

Allerdings haben sich die Flügel in den vergangenen Jahren inhaltlich angeglichen. Die gesamte Partei ist grundsätzlich regierungsbereit. Das gilt auch für eine Zusammenarbeit mit den Unionsparteien. Während der an der FDP gescheiterten schwarz-gelb-grünen Sondierungsgespräche waren sich Konservative und Grüne nähergekommen.

Im Leitantrag zum Hannoveraner Parteitag heißt es, dass die Grünen im Herbst dieses Jahres nach der Landtagswahl in Bayern »unsere grünen Ideen in Regierungsverantwortung umsetzen« wollen. Möglich wäre das nach aktuellen Umfragen nur mit der CSU, von der sich die Ökopartei pro forma in ihrem Antrag abgrenzt. Man wolle die CSU »deutlich in ihre Schranken weisen und sie inhaltlich stellen - in der Integrationspolitik, beim maßlosen Flächenverbrauch und der damit einhergehenden Zerstörung der Heimat«. Die Kritik an den bayerischen Konservativen wurde von den Grünen früher schärfer formuliert. Grundsätzlich hat Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter ein Zusammengehen mit der CSU nicht ausgeschlossen. Er schränkte kürzlich im Bayerischen Rundfunk lediglich ein: »Wenn die weiter von ›konservativer Revolution‹ faseln, was ein Begriff aus dem ganz, ganz rechten Lager ist, dann wird es natürlich ganz schwierig.« Allerdings ist die CSU, die mit einem Verlust der absoluten Mehrheit rechnen muss, noch nicht vollständig davon überzeugt, mit den Grünen zusammenzuarbeiten. Der designierte Ministerpräsident Markus Söder nannte die Ökopartei kürzlich keinen potenziellen Koalitionspartner im Freistaat. Eine komplette Absage klingt anders.

Die Koalition mit der CDU in Hessen, wo ebenfalls im Herbst Wahlen stattfinden, wird im Leitantrag über den grünen Klee gelobt. »Wir haben die Richtung der Politik in Hessen geändert und wir sind noch nicht am Ziel«, meint die Führung der Grünen. Dabei waren einstige Ideale der Grünen oft auf der Strecke geblieben. Die Koalition hatte sich in der zu Ende gehenden Legislaturperiode unter anderem gegen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu den Morden der rechtsradikalen NSU-Terroristen gesträubt.

In der unübersichtlicher werdenden Parteienlandschaft wird es für die Grünen nicht leicht, sichtbar zu bleiben. Im Bundestag wären sie die kleinste Oppositionsfraktion, wenn sich Union und SPD in den kommenden Wochen auf eine gemeinsame Regierung einigen sollten.

Die Bundespartei hat sich schon überlegt, wie sie im Blickpunkt bleiben kann. Die Grünen wollen in diesem Jahr mit ihrer Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm beginnen. Ihr altes Programm stammt aus dem Jahr 2002. Demnächst sollen im Programmprozess auch inhaltliche Mitgliederbefragungen und Mitgliederbegehren durchgeführt werden. Inwieweit die Basis aber tatsächlich bei der Erarbeitung des neuen Programms mitbestimmen kann, wird sich noch zeigen. Im Jahr 2020 soll das neue Grundsatzprogramm jedenfalls verabschiedet werden - pünktlich zum 40. Geburtstag der Grünen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.