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  • Reportage - Rumänien

Für Traian eine Frage der Roma-Ehre

8. April - Internationaler Tag der Roma. Inzwischen leben schätzungsweise 12 Millionen Angehörige der »Minderheit« in der EU. Das sind weit mehr als Finnen, Dänen oder Esten. Deshalb wollen sie als Nation anerkannt werden

  • Matthias Wetzel, Bukarest
  • Lesedauer: 7 Min.
Traian ist ein vielbeschäftigter Mann. Neben seiner eigentlichen Arbeit, er ist Kesselschmied, engagiert er sich auch für die politischen Rechte seiner Dorfgemeinschaft, und schließlich hat er auch noch den Bau des neuen Hauses am Hals. Der 28-jährige Rom lebt mit seiner Familie in Bratei, einem kleinen Dorf in Siebenbürgen. Die meisten in Bratei gehören der Roma-Kaste der Kaldarari an. Es sind die letzten, die noch dem alten Handwerk des Kesselherstellens und -reparierens nachgehen. Und das Geschäft läuft gut. Bratei ist alles andere als eine verelendete »Zigeunersiedlung«. An allen Ecken wird gebaut und gewerkelt, und in die Musik aus Radios mischt sich der Lärm von Betonmischern und Kreissägen. Es scheint, die Bauherren wollten sich gegenseitig bei der Verzierung ihrer Häuser übertreffen. Zinkdächer funkeln in der Sonne, massive Säulen schmücken die Portale. Auch Traian will bauen. Nach langen Jahren des Sparens hat die Familie das Geld zusammen. Im Sommer geht es los, Weihnachten will er mit seiner Frau und den beiden Kindern schon im neuen Haus feiern. Das Geld verdient er durch den Verkauf von Kupferkesseln und anderen Haushaltsgegenständen aus Metall. Neuerdings verkauft er seine Ware sogar an ausländische Kunden - übers Internet. Ohne Bildung keine Chance Den Roma in Bratei gehe es so gut, weil sie ihrer alten Handwerkskunst treu geblieben seien, erklärt Traian. »Jeder Kaldarari hier in Bratei arbeitet, das ist eine Frage der Ehre. Wer keine Arbeit hat, hat auch keinen Stolz.« Und stolz sind die Kaldarari. Sie bekennen sich zu ihrer Identität als Roma und kleiden sich nach wie vor nach alter Sitte. Die Männer tragen kleine schwarze Hüte, die Frauen farbenfrohe, fußlange Röcke und Kopftücher. Dank Traians Engagement haben viele Familien in Bratei Entschädigung für Verschleppung und Enteignung während des Zweiten Weltkrieges erhalten. Dies und sein Einsatz für Bratei haben ihm Ansehen im Dorf verschafft. Viele holen sich bei ihm Rat, zumal er acht Jahre lang die Schule besucht hat. Unter Roma ist das keine Selbstverständlichkeit. Traian sieht gerade in der Bildung den Schlüssel für die Lösung vieler Probleme. Nur wer lesen und schreiben könne, habe die Chance, seine Rechte in der Gesellschaft erstreiten. Lesen und schreiben können nur etwa zwei Drittel der Roma. Das Bildungsdefizit beginnt schon im Vorschulalter. Ein UNICEF-Bericht zur Lage der Roma besagt: Nur etwa 17 Prozent aller Roma-Kinder besuchen eine Vorschule oder einen Kindergarten. Obwohl Schulen und Kindergärten in Rumänien unentgeltlich sind, bleiben vier von zehn Roma-Kindern zu Hause. Viele Eltern haben nicht einmal das Geld, ihre Kinder ordentlich zu kleiden, geschweige denn ihnen Hefte und Stifte oder eine Fahrkarte für den Schulbus zu kaufen. Dazu kommt, dass viele Roma-Kinder auf Sonderschulen für Schüler mit Lernschwächen abgeschoben werden, obwohl sie keine solchen Schwächen aufweisen. Florin Hojnal ist Beauftragter für die Probleme der Roma im Kreis Medias. Bildung sei der Schlüssel, um der Armut zu entfliehen, sagt er. Hojnal, selbst Rom, hat es vorgemacht. Er studierte Soziologie und Sozialarbeit in Cluj und setzt sich jetzt im Rathaus für die Rechte seiner Volksgruppe ein. Die beiden wichtigsten Dinge seien Bildung und Aufklärung. In Medias seien wie in ganz Rumänien Inspektoren eingesetzt worden, die sich speziell um Schulen mit Roma-Schülern kümmerten. Außerdem habe die Regierung Unterrichtsmaterial über Kultur und Geschichte der Roma herausgegeben und Lehrerfortbildungskurse für den Umgang mit Roma angeboten. Ein Problem sei, dass es noch zu wenige Lehrer gebe, die selbst Roma sind. Die zweite, viel schwierigere Aufgabe, sagt Hojnal, sei der Abbau der Vorurteile gegenüber Roma in der rumänischen Gesellschaft. So kommt es durchaus vor, dass die Polizei mitten im Winter bei 15 Grad Frost illegale Slum-Hütten abreißt oder dass Roma-Patienten in Krankenhäusern von anderen Kranken getrennt werden. Auch Hojnal selbst kennt den täglichen Rassismus seiner Landsleute. »Wenn ich mit meiner rumänischen Frau in deren Dorf zu Besuch bin, merke ich, dass es keine Rolle spielt, ob man eine Arbeit und ein Auto hat oder an der Universität war. Dort sehen die Leute in mir lediglich einen Zigeuner, und das schmerzt.« Allerdings beobachtet der Endzwanziger eine Änderung der Ansichten bei jungen Leuten. Die seien wesentlich offener und übernähmen nicht die Ressentiments ihrer Eltern. Bis allerdings die Roma als gleichwertige rumänische Staatsbürger akzeptiert werden, müssten wohl noch einige Jahre ins Land gehen. Immerhin erhofft sich Hojnal einiges von der Aufnahme Rumäniens in die EU. Denn Brüssel achte streng auf Minderheitenschutz. Nach Brüssel richten sich auch die Augen Florin Cioabas. Der 56-Jährige nennt sich »König der Roma« und wohnt in einem palast-artig ausgestatteten Einfamilienhaus an einer Ausfallstraße von Sibiu (deutsch Hermannstadt). »Brüssel« und »Europa« sind in Rumänien magische Worte. Für viele bedeuten sie Hoffnung, für andere Existenzbedrohung, einigen Politikern dienen sie als Entschuldigung für Dinge, die sie selbst nicht zustande bringen. Cioaba verbindet mit Brüssel Hoffnung. Hoffnung für sein Volk. »Jedes Volk hat in Brüssel seine Vertreter. Ob Franzosen, Ungarn oder Dänen, alle Nationen haben ihre Leute in Brüssel. Nur wir Roma haben keine Vertreter für unsere Interessen in Europa. Dabei gibt es 12 Millionen Roma - mehr als Esten, Slowaken oder Dänen - in der EU. Deshalb müssen wir in Europa als Nation anerkannt werden.« Der beleibte, stille Mann wird bei diesen Worten energisch und rutscht auf seinem prächtig vergoldeten Stuhl herum, der ihm als Thron dient. Cioaba engagiert sich im Stadtparlament von Sibiu und ist Vizepräsident der Internationalen Vereinigung der Roma. Er ist viel auf Achse und reist durchs ganze Land. Und immer geht es dabei um die oft elende Lage der Roma. In Sibiu sei schon viel erreicht worden, sagt er, und verweist auf seine guten Beziehungen zu Bürgermeister Klaus Johannis. Mit Mitteln aus der EU und vom rumänischen Staat seien Sozialwohnungen für Roma gebaut und Schulprogramme für Roma-Kinder erarbeitet worden. Auch das Kulturhauptstadt-Programm sieht für September eine Woche der Roma mit Ausstellungen, Konzerten und Symposien vor. Slums wie in der »Dritten Welt« Obwohl sie nur etwa 30 Kilometer von der Kulturhauptstadt entfernt wohnt, wird Liane Bârcea vom Trubel in und um Sibiu nichts mitbekommen. Schon in die nahegelegene Kreisstadt zu fahren, fehlt ihr das Geld. Liane ist Mutter dreier kleiner Kindern. Das Jüngste ist erst ein halbes Jahr alt. Nur wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass Liane selbst erst 23 ist. Zu stark haben sich der elende Alltag und der Mangel an allem in ihr Gesicht geschrieben. Zusammen mit ihrem Mann und dessen zwei halbwüchsigen Söhnen lebt sie am Rande einer kleinen Siedlung. In ihrer windschiefen Hütte ist nur ein Raum benutzbar. Tagsüber müssen sie die Matratzen, auf denen sie schlafen, aus dem Haus räumen, um überhaupt Platz zu haben. Auf einem kleinen Holzofen kocht Liane das Essen. Die Kochstelle ist im Winter die einzige Wärmequelle. »Zum Glück haben wir jetzt Frühling«, sagt sie, »der Winter ist die härteste Zeit.« Die Familie lebt von 250 Lei Sozialhilfe. Das sind umgerechnet etwa 75 Euro. Mit diesem Geld eine siebenköpfige Familie zu ernähren, ist so gut wie unmöglich. Lianes Mann versucht durch Gelegenheitsjobs, ein wenig Geld ranzuschaffen, und wenn gar nichts mehr hilft, macht sich Liane auf, um ein paar Lei im Dorf zu borgen. Zur Schule ist Liane nur sporadisch gegangen. Keine Schule - kein Abschluss - keine Chance auf eine bezahlte Arbeit - kein Geld, so sieht der Teufelskreis der meisten Roma aus. Viele von ihnen sind nicht nur arm, sie sind verelendet. Seit der »Ost-erweiterung« gibt es in der EU Slums, die denen in Afrika oder anderen Teilen der »Dritten Welt« in nichts nachstehen. Ob es gelingt, die Ärmsten der Armen in die Europäische Union einzubeziehen? Daran müsste sich beweisen, ob die EU nur ein neoliberales Wirtschaftsprojekt ist oder ob sie die allgemeinen Menschenrechte zu ihren Grundpfeilern macht.
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