- Berlin
- Volksentscheid für Gesunde Krankenhäuser
Mehr Personal, mehr Investitionen
Bündnis will miese Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern mit Volksbegehren ändern
Die Arbeitsverdichtung in Krankenhäusern ist enorm. »Ich habe immer weniger Zeit für Patienten«, sagt Anja Voigt, die seit 20 Jahren als Intensivpflegekraft im Vivantes Klinikum Neukölln arbeitet. Wenn sie früher zwei Patienten über Nacht auf der Intensivstation zu betreuen hatte, sind es heute drei oder vier. Für Gespräche bleibt da keine Zeit, auch das vorgeschriebene Arbeitspensum ist nicht immer zu schaffen. »Es gibt Dienste, in denen ich es nicht schaffe, die Patienten komplett zu waschen«, sagt Voigt. Die Folge: Nicht nur schlechte Bedingungen für Patienten, sondern auch Frust bei den Beschäftigten.
Der Pflegenotstand hat auch Folgen für die sogenannte Patientensicherheit. »Wenn die Pflege nicht da ist, können wir unseren Job auch nicht machen«, sagt Johanna Henatsch, die als Ärztin bei Vivantes arbeitet. Der Punkt ist: Die Krankenpfleger sind diejenige im medizinischen Betreuungsteam, die den engsten Kontakt zu den Patienten haben. »Aufgrund des Pflegepersonalmangels werden gesundheitliche Verschlechterungen zu spät bemerkt«, betont Henatsch.
- Die Volksgesetzgebung ist in Berlin folgendermaßen ausgestaltet: Es gibt zum einen den Weg des Volksbegehrens, für den zunächst in zwei Stufen genügend gültige Unterschriften (Rund 20 000 und 170 000) gesammelt werden müssen. Im Erfolgsfall wird dann in einer dritten Stufe in einem berlinweiten Volksentscheid abgestimmt.
- Bei einem berlinweiten Volksentscheid muss das Beteiligungsquorum von 25 Prozent der Wahlberechtigten und eine Mehrheit erzielt werden.
- Außerdem gibt es eine zweite Möglichkeit: die sogenannte Volksinitiative. Um diese erfolgreich durchzuführen, müssen innerhalb von sechs Monaten rund 20 000 Unterschriften gesammelt werden. Auf Bezirksebene gibt es die Bürgerbegehren. mkr
Um die eklatanten Missstände im Krankenhaussystem zu beheben, hat sich jetzt ein neues Bündnis aus Beschäftigten, Patienten, politisch Interessierten und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zusammengeschlossen. Der Name der Gruppe: »Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus«. Der Zusammenschluss will mit einem »Volksentscheid für Gesunde Krankenhäuser« durchsetzen, dass mehr Personal in den Krankenhäusern eingestellt wird und dass Berlin mehr Geld für Investitionen in den Gesundheitsbereich zur Verfügung stellt. Am Donnerstag wurde die Initiative bei einer Pressekonferenz in Kreuzberg vorgestellt.
»Es ist höchste Zeit zu handeln«, erklärt Lucy Redler, eine der drei Vertrauenspersonen des Volksbegehrens. Ab sofort will das Bündnis Unterschriften sammeln, für einen berlinweiten Volksentscheid müssten aber zunächst zwei Stufen absolviert werden (siehe Kasten). Viele der Unterstützer des Bündnisses kennen sich aus den Arbeitskämpfen bei der Charité und Vivantes. Gemeinsam treten sie für eine gesetzliche Regelung ein, mit der die Versorgungsqualität in den Berliner Krankenhäusern verbessert werden soll. Unter anderem sollen per Volksbegehren das Landeskrankenhausgesetz geändert werden. Darin enthalten sind Mindestpersonenzahlen für Pflegekräfte und andere Berufsgruppen in Krankenhäusern. Als zweites großes Ziel soll eine Mindestquote für Investitionen festgelegt werden, die vom Land Berlin übernommen werden müssen.
Was das Volksbegehren kosten würde, hat der rot-rot-grüne Senat unterdessen in einer amtlichen Kostenschätzung berechnet: Demnach würde die Umsetzung rund 385 Millionen Euro pro Jahr kosten. Darin enthalten sind unter anderem Personalausgaben von 90 Millionen Euro für die Mindestvorgaben alleine für die Charité und Vivantes und rund 135 Millionen Euro für die anderen Krankenhäuser. Die vorgesehene Investitionsquote würde laut Senat zu Mehrbelastungen von 160 Millionen Euro führen.
Bei Rot-Rot-Grün trifft die Initiative dennoch auf Zustimmung. »Die Forderung nach verbindlichen Personalschlüsseln für alle Pflegebereiche ist daher berechtigt«, erklärte Gesundheitssenatorin Dilek Kolat. Das Mitte-links-Bündnis habe auch eine entsprechende Bundesratsinitiative vorbereitet, um Krankenhäuser zur Einführung von Personalschlüsseln zu zwingen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.