Bizarre Schlacht um Immelborn
Thüringen: Anonyme Anzeigen machen Untersuchungsausschuss zum Aktenchaos zur Farce
Die parlamentarische Aufklärungsarbeit zu den Vorgängen rund um das Aktenlager von Immelborn wird immer mehr zu einer Posse - und zwar zu einer, in der mehr und mehr mit schmutzigen Tricks und anonymen Anschuldigungen gearbeitet wird. Vor wenigen Tagen war bei der Staatsanwaltschaft Erfurt ein von einem Anonymus verfasstes Schreiben eingegangen, in dem der oberste Datenschutzbeauftragte des Landes, Lutz Hasse, beschuldigt wird, sich im Zuge seines Streits mit dem Innenministeriums im Zusammenhang mit dem Aktenlager des Betrugs schuldig gemacht zu haben.
Seit Kurzem liegt der Anklagebehörde nun ein weiteres Schreiben vor - wieder eines, in dem sich der Verfasser nicht zu erkennen gibt. Darin wird nun die Anschuldigung laut, hinter der ersten anonymen Anzeige gegen Hasse stecke kein geringerer als der Obmann der CDU im Immelborn-Untersuchungsausschuss, Manfred Scherer. Der war in den vergangenen Monaten stets als Chefankläger Hasses aufgetreten, indem er ihm mehrfach vorgeworfen hatte, Recht gebogen und gebeugt und missachtet zu haben.
Im Juli 2013 waren in einer Lagerhalle in Immelborn bei Eisenach Hunderttausende vertrauliche Akten von Rechtsanwälten und Arztpraxen entdeckt worden, die dort ungesichert in einer Lagerhalle lagen. »Das ist hier ein datenschutzrechtliches Fukushima«, sagte damals Thüringens Datenschutzbeauftragter Lutz Hasse dem Sender MDR Thüringen.
Die 3000 Quadratmeter große Halle gehörte Medienberichten zufolge einer 2008 pleitegegangenen Archivierungsfirma. Über Monate war die Halle ungesichert, Türen waren aufgebrochen und Scheiben eingeworfen. Möglicherweise hätten sich Unbefugte bereits vor Wochen Zutritt verschafft, sagte Hasse. Weinflaschen hätten herumgelegen und Akten seien aus den Regalen geworfen worden. dpa/nd
In der kleinen Gemeinde Immelborn im Wartburgkreis waren im Sommer 2013 Hunderttausende ungesicherte Akten gefunden worden. Wegen des Fundes gerieten der Landesdatenschutzbeauftragte Hasse und das damals noch CDU-geführte Innenministerium in einen heftigen Streit. Hasse klagte sogar gegen das Innenministerium, das damals vom CDU-Politiker Jörg Geibert geführt worden war. Ein Untersuchungsausschuss des Landtages soll inzwischen klären, ob Hasse diesen Streit provoziert hatte, um sich zulasten der Union zu profilieren.
Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Erfurt bestätigte den Eingang der zweiten anonymen Anzeige. Wegen des Schreibens sei ein Prüfvorgang bei der Staatsanwaltschaft eingeleitet worden, sagte sie. Die Behörde werde sich aber erst mit der zweiten anonymen Anzeige gegen Scherer beschäftigten, wenn man sich dort die erste Anzeige gegen Hasse näher angeschaut habe. Das werde mehrere Wochen dauern.
Besonders bizarr an beiden Schreiben: In der anonymen Anzeige gegen Hasse - der in der vergangenen Woche im Landtag erneut zum Datenschutzbeauftragten gewählt wurde - behauptet der Anonymus Nummer eins, er arbeite selbst in der Behörde des SPD-Mannes. In der anonymen Anzeige gegen Scherer schreibt Anonymus Nummer zwei, er arbeite in der CDU-Landtagsfraktion. Sollten die Angaben stimmen, hätten sich in beiden Fällen Menschen aus dem engsten Umfeld Hasses beziehungsweise Scherers gegen sie gewandt. Sollten sie nicht stimmen, wäre das ein weiterer Beleg dafür, von welch schmutzigen Tricks die Immelborn-Aufklärung inzwischen begleitet wird.
In der Anzeige gegen Scherer werden sehr konkrete Vorwürfe erhoben, die implizit auch den CDU-Abgeordneten Jörg Geibert treffen. Sowohl Scherer als auch Geibert waren einmal Innenminister in Thüringen. Anzeigenschreiber Nummer zwei behauptet, Scherer habe während der CDU-Winterklausur in Volkenroda im Januar 2018 einigen Mitarbeitern der Union die Idee präsentiert, »den derzeitigen Datenschutzbeauftragten Lutz Hasse kurz vor dessen Neuwahl durch eine fingierte Strafanzeige eines angeblichen Mitarbeiters seiner Behörde ins Wanken zu bringen«. Dabei hätten nach den Vorstellungen Scherers Unterlagen verwendet werden sollen, die er durch seine parlamentarischen Akteneinsichtsrechte erlangt habe. So habe der Schein erweckt werden sollen, dass die Informationen aus der Behörde Hasses selbst stammen. »Herr Scherer gab ein grobes Gerüst der Anzeige vor und beschrieb seine weiteren Anforderungen mit der Zielvorgabe, die Anzeige bis zum 16. Januar 2018 vorzubereiten und ihm nicht elektronisch sondern als Ausdruck in sein Postfach zu geben«, heißt es in der Anzeige.
Etwa eine Woche später habe es dann ein weiteres Treffen zwischen Scherer und Mitarbeitern der CDU-Fraktion gegeben, an dem auch Geibert beteiligt gewesen sei. Dabei hätten die beiden Abgeordneten Änderungswünsche an dem Rohentwurf der Anzeige formuliert, den Mitarbeiter zuvor vorbereitet gehabt hätten, »damit das Schreiben noch ›echter‹ aussieht und nicht sofort als Fälschung zu erkennen ist«. Im letzten Absatz der Anzeige behauptet Anonymus Nummer zwei, er habe mehr als eine Woche lang »aus falscher Loyalität« über den Sachverhalt geschwiegen. Nun sei er aber zu der Überzeugung gekommen, dass dieses Verhalten Scherers weder mit deutschem Recht noch mit dem Grundverständnis der CDU zu vereinbaren sei.
Aus der CDU werden die in dem zweiten anonymen Schreiben erhobenen Vorwürfe scharf zurückgewiesen. »Weder Manfred Scherer, noch die CDU-Fraktion haben es nötig, den Datenschutzbeauftragten Lutz Hasse anonym anzuzeigen. Herr Scherer hat sich mehrfach öffentlich und deutlich zum Datenschutzbeauftragten geäußert«, sagte ein Sprecher der Unions-Fraktion unmittelbar nachdem die Existenz der zweiten Anzeige bekannt geworden war. Wenn er oder die CDU-Fraktion einen Anlass sähen, um Strafanzeige zu stellen, werde man dies auch tun. »Die Sachverhaltsschilderung ist nach Angaben der in der anonymen Anzeige namentlich Genannten eine freie Erfindung.«
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