- Politik
- Proteste in Cottbus
1500 solidarische Einwohner gegen 3000 Asylfeinde
Viele Bürger und der brandenburger Stadt demonstrierten Mitmenschlichkeit - rechte Asylfeinde mobilisierten jedoch doppelt so viele
»Leben ohne Hass« wollen die 1500 Menschen aus mindestens sieben Ländern, die am Sonnabend in Cottbus demonstrierten. Es war ein bunter, fast fröhlich anmutender Zug, trotz der leidenschaftlichen Reden, die um die ernsten Probleme in der Stadt kreisten. Luftballons, fantasiereiche Transparente, Rosen, die von Flüchtlingen an die Cottbuser verteilt wurden, Musik. Mittendrin eine riesige, auf Stoff gemalte Jasminblüte als Symbol von Frieden, Solidarität und Respekt. Wie die Initiatoren der Demonstration erklärten, wolle man sich der Gewalt entgegenstellen, aber auch der rassistischen Hetze, die sich der Zusammenstöße zwischen jugendlichen Flüchtlingen und Deutschen bedient. So zogen die Demonstranten vom Altmarkt durch die Stadt bis vor das Blechen Carré.
Viele junge Menschen waren dabei, so wie Martin Bock vom Fanprojekt Kickerstube. Dort treffen sich seit dem vergangenen Sommer immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene, darunter viele Migranten. »Wir sind für alle offen und ein attraktiver Ort im Zentrum der Stadt.« Doch als die Anzahl der Tagesgäste sich verdreifachte, wurde es immer schwerer, auch inhaltliche Arbeit zu leisten. Dafür fehlt Personal.
Mohamed Alshamie zitterte am ganzen Körper. Seine dünne Jacke und die syrische Fahne hielten die Kälte nicht ab. »Zuhause gehen wir im Winter schwimmen«, erzählte der Syrer, der seit drei Jahren in Deutschland lebt und Automechaniker werden möchte. »Ich gehe jetzt in die zehnte Klasse. Später möchte ich in Deutschland bleiben. Ich möchte, dass die Leute verstehen, dass wir nicht alle schlecht sind.«
Zu den Teilnehmern sprach auch Kulturministerin Martina Münch (SPD): »Wir wollen ein Cottbus für alle Menschen, die hier bei uns leben, ganz egal, woher sie kommen, welche Hautfarbe, welche Religion, welche sexuelle Orientierung sie haben. Wir brauchen Euch hier alle. Cottbus soll eine tolerante, weltoffene Stadt sein«, rief Münch, die auch Sprecherin des Bündnisses »Cottbuser Aufbruch« ist. Gewalt sei keine Lösung, die Regeln des Zusammenlebens gelten für alte. »Gebt nicht auf. Wir brauchen einen langen Atem.«
Zu den älteren Demonstrantinnen gehörte Sonja Newiak. Auf ihr mit einer Rose geschmücktes Pappschild hatte sie geschrieben: Gemeinsam friedlich solidarisch in Cottbus. »Ich finde, dass Menschen zusammenstehen müssen in schwierigen Zeiten, und dass Hass die Menschen entfremdet.« Längst ist ihr die wachsende Anzahl rechter Aufkleber im Stadtbild aufgefallen. »Aber ansonsten ist Cottbus eigentlich vielfältig, freundlich und offen. Es gibt also beide Seiten, und es kommt darauf an, die friedliche und freundliche Seite zu stärken.« Dazu müssten die Menschen Aussichten haben auf eine Entwicklung und eine Zukunft. Sie müssten bleiben können, wenn ihr Leben zu Hause bedroht ist. »Ich denke, da hat unsere Gesellschaft noch einiges zu tun, um allen Menschen - auch den deutschen Menschen, die in Not sind - zu helfen und Chancen zu bieten, ebenso wie denjenigen, die ihr Menschenrecht wahrnehmen wollen.«
Herrman Kostrewa (SPD), Sozialbeigeordneter im Spree-Neiße-Kreis, ist überzeugt, dass sein Landkreis und die Stadt Cottbus gemeinsam für Weltoffenheit und Toleranz eintreten müssen. »Wir haben seit zwei bis drei Jahren eine wirklich sehr gute Integrationsarbeit bei uns im Landkreis geleistet. Es sind sehr viele Bürger, die sich in den Gemeinden engagieren, und es gibt auch eine gute Arbeit in den Schulen und Sozialeinrichtungen.« Die große Anzahl der Demonstranten sei ein gutes Zeichen, das hoffentlich auch bundesweit wahrgenommen werde. Die Politik im Land und vor Ort müsse Rahmenbedingungen schaffen, damit Integration funktioniert, finanzielle Mittel bereitstellen und gute Konzepte entwickeln, um sie richtig einzusetzen. »Wichtig ist, dass die Politik auch deutlich macht, wie die Mehrheit denkt, und dass man nicht zu sehr auf Einzelfälle abhebt.«
Ein Statement dieser Art hätte man᠆cher sich auch von Holger Kelch (CDU) gewünscht, doch der Cottbuser Oberbürgermeister hatte den Weg zu »Leben ohne Hass« nicht gefunden. Am 31. Januar hatte er vor der Stadtverordnetenversammlung gesprochen, die Stadt als Opfer einer »Empörungsmaschinerie« geschildert und von einem »Medienhype« angesichts von Vorfällen, die in Berlin und anderen Städten zum Alltag gehörten, gesprochen. Cottbus wolle sich an solche Verhältnisse aber nicht gewöhnen. »Ich spreche im Namen der Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, denen das Gefühl der Unsicherheit große Sorgen bereitet. Die Bürger erwarten zu Recht, dass der Staat handelt und handlungsfähig bleibt. Sie erwarten zu Recht, dass sich der Staat Respekt verschafft und Sicherheit und Ordnung gewährleistet«, so Kelch. Das zumindest hat am Sonnabend die Polizei getan - deeskalierend, bemerkenswert entgegenkommend und gut vorbereitet. Die Veranstaltungen blieben friedlich, ihre Teilnehmer gerieten nicht aneinander.
Mohammad Scharr, Initiator der Demonstration »Leben ohne Hass - Gemeinsam gegen die Angst«, zeigte sich zufrieden. Der 20-jährige Syrer hat in den zwei Jahren, in denen er in Deutschland lebt, selbst wiederholt rassistische Ablehnung im Alltag erfahren. »Ich hoffe, dass nächstes Mal noch mehr Leute kommen. Wir zeigen, dass wir friedliche Menschen sind, wie andere auch. Es macht keinen Sinn, wenn eine kleine Gruppe von uns etwas Schlechtes tut. Es macht keinen Sinn, wenn Menschen auf die andere Straßenseite gehen, weil sie sich fürchten. Wir wollen die Gewalt, die Angst und den Hass beenden.«
Die Initiative »Leben ohne Hass«, die unter dem Dach von »Cottbus nazifrei« entstand, werde weiter arbeiten, so Sprecherin Lea Bunke. »Wir wollen unsere Freundschaften weiter pflegen, unser Netzwerk in den Nachbarschaften ausbauen und sehen, dass wir gut kooperieren.«
Luise Meyer, Sprecherin vom Netzwerk »Cottbus nazifrei«, hob hervor, dass mit dieser Demonstration zum ersten Mal Flüchtlinge selbst ihre Stimme erhoben, um zu zeigen, dass nicht sie in ihrer Mehrzahl das Problem in der Stadt sind. »Nazis sind das Problem in Cottbus und ›Zukunft Heimat‹ ist das Problem in Cottbus. Und denen überlassen wir nicht die Straße in unserer Stadt.« Cottbus sei von der fremdenfeindlichen Initiative »Zukunft Heimat« wegen seiner starken rechten Szene als Ort einer Kampagne gewählt worden, um Leute aufzuhetzen und Hass zu schüren.
Wie diese Saat aufgeht, zeigte sich am Nachmittag erneut am Oberkirchplatz, wo die Asylfeinde von »Zukunft Heimat« zur Demonstration mit Gästen von Pegida & Co. aufgerufen hatte. Schwarz-Rot-Gold konkurrierte mit Schwarz-Weiß-Rot, und die Botschaften waren eindeutig: »Merkel muss weg«, »Wir sind das Volk«, »Widerstand« und natürlich »Lügenpresse«. Nachdem sich die Masse unter dem Dirigat von Anne Haberstroh selbst versichert hatte, dass keine Rechtsradikalen unter ihnen seien, lief sie der aus Naziaufmärschen wohlbekannten Parole: »Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen« hinterher und skandierte: »Festung Europa - Macht die Grenzen dicht!«
An einer Kreuzung schob ein älterer Mann rasch sein Fahrrad vor dem Marschzug über die Straße. Einen Augenblick hob er den Kopf und schaute dem Gespensterzug der 3000 entgegen. »Was kommt da bloß auf uns zu?« fragte er leise, bevor er verschwand.
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