Vor der Mauer

Vielversprechender Beginn: In Chemnitz inszenieren vier Regisseurinnen Wagners »Ring des Nibelungen«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Jung und dynamisch wirkt das, was Sophia Schneider (Bühne) und Verena Stoiber (Regie) in Chemnitz aus Richard Wagners »Rheingold« gemacht haben. Dabei ist das tatsächliche Lebensalter der Akteurinnen auf Anhieb gar nicht herauszufinden. Soll man etwa nicht danach fragen? Bezogen auf das weibliche Prinzip, das diesem »Rheingold« und den folgenden drei Teilen der »Ring«-Tetralogie in Chemnitz zugrunde liegt, wäre das altmodisch und voremanzipatorisch.

Eine marktwirksam originelle Idee hat Chemnitz den Bayreuther Festspielen jedenfalls vor der Nase weggeschnappt: Vier Frauen führen Regie, und auch die Produktionsteams sind (bis auf den Bühnenbildner im »Siegfried«) durchweg weiblich zusammengestellt. Ob das nun eine Traum- oder Albtraumquote ist, wird man am Ende sehen. Den Abschluss dieses »Rings« wird es mit der »Götterdämmerung« noch in diesem Jahr, am 1. Dezember, geben. Das ist an sich schon eine Leistung.

Zu den harmloseren, ja erfreulichen, sächsischen Eigenheiten gehört es offenbar, dass nicht nur Dresden und Leipzig, sondern eben auch Chemnitz seinen eigenen »Ring« funkeln lassen will. Erfahrungen mit Wagner haben sie dort jede Menge, und die Robert-Schumann-Philharmonie findet auch unter ihrem neuen Generalmusikdirektor Guillermo García Calvo mühelos in einen höchst überzeugenden Wagner-Sound - mit allem, was vom Rumoren am Rheingrund über das Nibelungen-Gehämmer bis zum Einzug der Götter in Walhall dazugehört.

Dabei sieht man von Walhall nur eine Mauer im Brutalo-Betonlook. An der steht irgendwann neben allerlei Sprüchen (von doof bis dialektisch witzig) »WALLHALL«. Wer eine Mauer heute »WALL« nennt, der meint damit auch die an der mexikanischen Grenze geplante. Hier korrigiert Wotan das wieder ins korrekte Götterburgs-Walhall. Nicht nur an dieser Stelle handelt dieses »Rheingold« von unserer Gegenwart, jedenfalls in einem assoziativen Sinne. Das regierende Götterehepaar, das zu spät kommt und sich zu seinen Plätzen auf der Bühne durchschlängelt, sieht mehr nach den Clintons aus als nach Wotan und Fricka. Der jugendlich smarte Wotan, Krisztián Cser, hat keinen Speer, sondern ist ein Smartphone- und Selfie-Freak, bis Fricka (taff: Monika Bohinec) das Ding im Eimer der Putzfrau versenkt und Fafner es ihm wegnimmt.

Der Witz erinnert augenzwinkernd an den »Gott des Gemetzels«. Alberichs Goldraub hat etwas Animalisches, Nibelheim ist ein unmissverständliches Klartext-Bild: eine Etage ist ein Bordell, die andere der Ort für Kinderarbeit. Loge als gewiefter Spielmacher ist bei Benjamin Bruns der vokale und komödiantische Glücksfall. So wie Bernadett Fodor als herrlich düster orakelnde Erda. Wenn sie das Ende der Götter heraufbeschwört, dann trifft der junge Wotan sein greisenhaftes Ebenbild.

Verena Stoibers Personenführung ist genau, hat durchweg Witz, und sie dient der Verdeutlichung. Donner und Froh sind vor allem mit Golfen und Fummeltragen beschäftigt, die Göre Freia mit Shoppen. Für sie ist die Entführung durch die bieder spießigen Riesen eine nette Abwechslung. Zwischendurch blitzt immer wieder Gewalt auf, etwa wenn Alberich den Rheintöchtern das Rheingold-Haar vom Kopf und Wotan ihm dann den Ring (samt Finger) entreißt. Oder wenn Fafner erst den Bruder erschlägt und dann alle Frauen und Kinder mitnimmt.

Viel Zustimmung zu einem packenden Abend!

Nächste Vorstellung am 22.2.

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