Lenín in Zugzwang

Ecuadors Präsident steht trotz Sieg beim Referendum unter Druck von vielen politischen Akteuren

  • Tobias Boos, Quito
  • Lesedauer: 4 Min.

Die symbolträchtige Tribüne vor der Parteizentrale von Alianza País füllte sich am Wahlabend des 4. Februar nur sehr spärlich. Und so richtig Stimmung wollte selbst nach Bekanntwerden der Ergebnisse des Referendums nicht aufkommen. Dabei hätten die AnhängerInnen des amtierenden Präsidenten Lenín Moreno vordergründig allen Grund zum feiern gehabt. Die ecuadorianische Bevölkerung hatte bei allen sieben Fragen deutlich mit »Ja« gestimmt und damit dem Präsidenten ihr Vertrauen für anstehende Regierungsvorhaben ausgesprochen.

Zur Abstimmung gestanden war dabei hatte ein regelrechtes Themen-Potpourri: Von der Begrenzung der Wiederwahl für politische Ämter, über das Nicht-Verjähren von Sexualvergehen an Minderjährigen bis hin zu ökologischen Fragen.

Das klare Ergebnis könnte sich bei genauerer Analyse jedoch als Pyrrhussieg für all jene entpuppen, die nun auf einen Linksschwenk hoffen. Viele Fragen waren nicht hinlänglich präzise formuliert. Wie die Regierung diese in der Praxis auslegt, wird sich zeigen müssen. Die fünfte Frage verbietet etwa den Bergbau in geschützten Gebieten und Stadtzentren. In den Monaten vor dem Referendum vergab die amtierende Regierung jedoch weiterhin fleißig Konzessionen. Der Widerspruch zwischen dem propagierten Umweltschutz und der Praxis wurde schließlich so groß, dass der Minister für Bergbau wenige Tage vor der Abstimmung zurücktreten musste. Gleiches gilt für die Ölförderung im Nationalpark Yasuní, die in der siebten Frage verhandelt wurde. Umweltorganisationen bezweifeln die Verfassungskonformität der Frage und kritisieren die undurchsichtigen Absichten der Regierung. Vordergründig soll die Ölförderung auf 300 Hektar reduziert werden. Tatsächlich, so vermuten die Organisationen, könnte die Regierung das »Ja« aber dazu nutzen, die Förderung von 300 zusätzlichen Hektar zu legitimieren. Trotz der symbolischen Funktion der Fragen, sind sich die AktivistInnen einig, dass der Regierung nicht zu trauen ist. Es sei wichtig, von nun an Druck auf diese auszuüben.

Weitere Fragen sehen weitreichende verfassungsrechtliche Veränderungen im Institutionengefüge des ecuadorianischen Staates vor. Während die zweite Frage die Möglichkeit zur Wiederwahl für dasselbe politische Amt auf einmal begrenzt, hat die dritte Frage noch weitreichendere Folgen. Mit ihr wird der amtierende Rat für Bürgerbeteiligung vorzeitig abgesetzt. Dieser als »fünfte Gewalt« bezeichnete Rat war mit der Verfassung von 2008 implementiert worden und sollte als Kontrollorgan der BürgerInnen fungieren. Dabei besitzt er weitreichende Befugnisse bei der Berufung öffentlicher Ämter. In den vergangenen Jahren war der Rat aber vor allem mit Funktionären des früheren Präsidenten Rafael Correa (2007-2017) besetzt worden. Wenig verwunderlich spricht die von Correa angeführte »Nein-Kampagne«, die dazu aufrief bei allen Fragen mit »Nein« zu stimmen, von einem Staatsstreich nahe stehen. Weitere Befugnisse würden in der Exekutive konzentriert, argumentiert der eigens für die Kampagne nach Ecuador zurückgekehrte »Mashi«, wie Correa von seinen Anhängern genannt wird.

Bei aller Kritik an der politischen Instrumentalisierung der Staatsorgane während der vergangenen Jahre, hinterlässt die Frage auch Bauchschmerzen bei all jenen Linken, die versuchen, sich der Polarisierung zwischen »Correistas« und »Morenistas« zu verweigern. Tatsächlich werden mit dem Referendumsergebnis nicht nur die aktuellen Ratsmitglieder abgesetzt. Der stattdessen einsetzte Übergangsrat hat enorme Machtbefugnisse: Er soll während der nächsten sechs Monate die von den VorgängerInnen eingesetzten Autoritäten evaluieren. Doch anstelle das Wahlverfahren seiner sieben Mitglieder über das Referendum zu definieren, behält Moreno es sich vor, diese persönlich zu bestimmen. Als demokratiepolitische Zweifel aufkamen, appellierte der Präsident an die Bevölkerung ihm einfach zu vertrauen.

»Mit diesen Prozenten in allen Fragen zu gewinnen, ist ein gewisser Ritterschlag für den Initiator, vor allem auch wenn man die Zahlen mit vorherigen Referenden vergleicht«, meint Paulina Recalde von »Perfiles de Opinión«, einem der großen Meinungsforschungsinstitute Ecuadors. Andererseits habe die Befragung aber eine Neuformierung des Correismus als politische Kraft ermöglicht, der andernfalls nur schwerlich möglich gewesen wäre. Wieweit dieser trägt und wie stark er von der Figur und Präsenz Correas abhängt, werde sich in naher Zukunft zeigen müssen, resümiert die Analystin. Der Ex-Präsident ist mittlerweile aus der Partei ausgetreten und hat zum Aufbau einer neuen »Bewegung der Bürgerrevolution« aufgerufen.

Die politische Rechte wiederum hat bereits deutlich gemacht, dass sie Moreno kaum Luft zum Atmen lassen wird. Guillermo Lasso, der rechte Gegenkandidat von Moreno bei den Wahlen 2017, behauptet sei Monaten, dass das Referendum seine Idee gewesen sei. In den vergangenen Wochen traten zudem allerlei ExpertInnen auf den Plan, die in öffentlichen Schreiben dem Präsidenten Vorschläge für die zukünftige Wirtschaftspolitik unterbreiteten. Die vorgeschlagenen Rezepturen wecken Erinnerungen an die Hochzeiten des Neoliberalismus. Linke Correa-AnhängerInnen zweifeln am Willen und den Widerstandskräften der Regierung, sich diesem Rechtsturn entgegenzustellen. Linke, die Moreno unterstützen, sehen nun die Chance gekommen den partizipatorischen Geist der Verfassung von 2008 wiederzubeleben.

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